Die seltsame Geschichte des „Propheten“ hat Stoff für Stadtgeschichte – er selbst sieht das nicht so
Pfarrer Werdin war im Alten Testament unterwegs, predigte von jenem zweifelnden Propheten Jeremias, den dieses FÜRCHTE DICH NICHT ankam und der das Zaudern, nie aber den Zweifel überwand.
Damals, als in Berlin die Grenzen brachen, predigte Johann Jacob Werdin das am Sonntag in seiner St. Michaels-Kirche, und er erzählte jetzt, fast 25 Jahre später, den ProSprembergern davon. Die hatten ihn eingeladen, um fundiertes Erinnern zu beginnen. Und sie hörten Erstaunliches: Als der schon wissensreiche Theologiestudent in Berlin einst vor seiner allerletzten Prüfung stand, bangte er inständig: ‘Hoffentlich falle ich durch’. Seinen verwunderten Hörern sagt er: „Ja, ich wäre dann Kameramann geworden oder etwas anderes sehr Schönes.“ Wie jener Jeremia fühlte er: ‘Ich tauge nicht als PROPHET FÜR DIE VÖLKER, bin viel zu jung.’
Er wurde dennoch Pfarrer in Spremberg und hatte hier gute fast vier Jahrzehnte. „Wir waren der Freiraum in der DDR“, erklärt er. Die Kirche funktionierte nach innen in demokratischen Strukturen –„wir haben unser Leben gelebt.“ Die dabei waren, erinnern sich an Friedensdekaden, an Familiengottesdienste, zu denen die Kinder ihr Kriegsspielzeug (NVA-Soldaten aus Plastik u.ä.) mitbringen konnten, um es gegen Schönes einzutauschen. Schwerter wurden zu Pflugscharen – heute die UNO-Skulptur in New York. Und die Stasi? „Die schoss mit Kanonen auf Mü-cken. Wer waren wir schon …“ Und mancher fragte: ‘Warum macht ihr euch so viel Ärger?’
Aber dann fanden die Menschen doch Mut für eine bessere Zukunft in ihrem Land.
Es brodelte in der DDR, nur noch nicht in Spremberg. Und alle zauderten wie JEREMIA. Zur Kreissynode war Stolpe hier Gast. „Wir fragten: Was, wenn viele Leute kommen? Stolpe sagte: Die Türen öffnen.“ War das so einfach?
Dann hatte sich ein Gerücht verbreitet. Schon nachmittags belebte sich die Straße an der Kirche. Nach der Abendandacht hieß es: Lasst uns gehen. Mit Kerzen, statt die Fäuste zu ballen. „Wir hatten Kerzen aufgespart, und als der Zug an die Kreisleitung kam, ging dort das Licht aus – die hatten Angst.“ Da war das Werk des Propheten gelungen. Werdins Augen funkeln ein wenig listig, seine Bewegungen sind zufrieden: „Ein großes Erlebnis, nicht von der Angst beherrscht zu werden, sondern die Angst zu beherrschen. Und wir hatten alle Angst.“
Nein, seither ist nicht alles gut. Der „Prophet“ beackert weiter sein Land, gerade mal 885 Selen gehören zur Gemeinde. „Die einen sind mit Arbeit eingedeckt worden, dass für nichts anderes Zeit bleibt, die anderen haben nichts mehr“, bedauert der Pfarrer. Er hat Vietnamesen Obdach gegeben, die abgeschoben werden sollten, ärgert sich über den staatlichen Religionsunterricht, der zum „Todesstoß für die Christenlehre“ wurde. Solche Sachen eben.
Und manchmal predigt er aus den Alten Testament.
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