Ach, der Mantel und die Mütze…

Cottbus. Mit einer – wie könnte es anders sein – außergewöhnlichen letzten Inszenierung verabschiedet sich Stephan Märki aus der Lausitz: der Uraufführung eines Musikspiels, an dem zuletzt 1913 (!) gearbeitet wurde.
Märkis Einstieg in Cottbus vor fünf Jahren verlief zunächst glücklos. Corona fegte die Bühnen leer. Zuletzt zeugte der Schweizer mit seiner Fassung von „Tristan und Isolde“ ein national beachtetes Wagner-Leuchten, und daran, wenigstens der nationalen Aufmerksamkeit, will er mit „Kleider machen Leute“ anknüpfen. Ein Schweizer Stoff (nach Gottfried Keller) in den Händen des Schweizers. Das musste gelingen.
Mit dem heute weitestgehend vergessenen Alexander Zemlinsky (1871-1942) ruft Märki einen österreichischen Komponisten auf, der, beflügelt in der Zeit größter Könner, glanzvolle Musik schrieb. „Kleider machen Leute“ war seine dritte Oper, der Librettist Leo Feld allerdings einen so trivialen Text gab, dass sie nach 1910 bald abgesetzt wurde und auch Bearbeitungen wenig bewirkten. Leider bis heute. Wir haben die letzte Liedzeile des Schneiders im Ohr: „“Ich tu mein Glück umfassen, du meine Glückseligkeit…“
Die Musik unter GMD Alexander Merzyn wiegt den auf heitere Unterhaltung hoffenden Besucher zunächst in köstlichen musikalische Traumlandschaften. Zur Pause erzählen einige vom Nickerchen…
Aber jetzt! Immerhin tat sich schon Spektakuläres: Silvia Merlo und Ulf Stengl begleiten Märki wieder als Bühnen- und Video-Autoren, Choreografin Chris Comtesse fasst assistierend in die Speichen der Regie, und so gewinnt die kleine Novelle Größe – riesenhafte im Format einer graphisch rollenden Equipage, aber auch in der Erzählweise.
Das schüchterne Schneiderlein Wenzel Strapinski in Mantel und Mütze, mit dem österreichischen Tenor Paul Schweinester ideal besetzt, ist nicht mehr allein. Die Goldacher hofieren ihm, der lieber weglaufen möchte, doch da verliebt es sich in Nettchen (geradzu zerbrechlich Anne Martha Schuitemaker), auf die Prokurist Böhni (Bariton Todd Byce aus den USA) Anspruch erhebt. Ihn können Mantel und Mütze nicht täuschen.
Die Geschichte verläuft, abgesehen vom bei Keller zuletzt wohlhabenden, bürgerlich aufgestiegenen Schneidermeister, konform mit der Vorlage. Doch das Regieteam braucht die Wende zur Tragödie. Märki inszeniert ein bösartiges, judenfeindliches Spießerdorf, Mantel und Mütze sollen als Synonym für orthodox gekleidete Juden aufzufassen sein und somit gleitet Strapinski in die Rolle des, zumindest was seine unglücklich Liebe betrifft, als Jude benachteiligten Komponisten. Eine konstruierte Referenz an den Zeitgeist.
Immerhin wird, leider mit etwas ablenkenden Handlungs-Nebensträngen, der Konflikt um den „Grafen“, der sich selbst nie als solcher bezeichnete, als großes Ensemblestück ausgespielt. Hier bekommt der Chor (Leitung: Christian Möbius) mancherlei tänzerische und komödiantische Aufgaben und es finden sich auch kleine Solopartien. Die im Gegensatz zu dem eleganten Gast langweilig in Anzüge, Schlips und Kragen gekleideten Bürger verortet die Kleiderkammer in den 1960er Jahren (Kostüme: Elina Schnitzler).
Der Handlung fehlt es an Dramatik, die sich auch aus der Musik nicht auftürmt. Nur einmal deutet sich Szenenapplaus an: „Lehn Deine Wange an meine Wange…“ singt Nettchen. Es ist nicht Leo Feld, sondern ein Lied von Heinrich Heine. Auch Worte sollten Musik sein.
Nettchen und Wenzel finden sich, es geht alles gut dank bester Besetzung. Heiko Walter ist Nettchens Vater und Amtsrat, Hardy Brachmann und Ye June Park sind zwei Schneidergesellen, Nils Stäfe bewirtet in der „Waage“ und Stefan Kulhawec, jetzt Ballettdirektor, agiert stumm und etwas außerirdisch als ein Prologus. Weiter sind besetzt: Alexander Trauth als Kutscher, Thomas Mietk, Ulrich Schneider als Notar, Katharina Kopetzky, Rahel Brede, Alexey Sayapin, Dirk Kleinke, Zela Corina Calita, John Ji, Sandra Bösel u.a. Es gab für große Bilder und wunderschöne Musik kräftigen Beifall.
Märki wird sich am Ende der Spielzeit mit dem letzten Vorhang der Keller-Geschichte vom Publikum verabschieden. Er beabsichtigt, Flaneur und reisender Rentner zu werden. Von einer Wagner-Inszenierung in Fernost raunt der Buschfunk. J. Heinrich
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