Viel Applaus für krasse „Szenen einer Empörung“ im 1. Konzert der Saison
Cottbus (h.) Draußen hingen die österreichische und die Europafahne überm Theaterportal, drinnen gab es Mozartkugeln und Kaiserschmarrn, dann aber alsbald packende Musik: Franz Schuberts 7. Sinfonie, eine bemerkenswerte Uraufführung des fast noch jugendlichen Philipp Manuel Gutmann, und schließich Bruckners Neunte in drei Sätzen. Die drei Werke eint: Sie sind oder verstehen sich als unvollendet.
Und natürlich: Sie klingen herüber aus einem unserer Nachbarländer. Alexander Merzyn, amtierender Generalmusikdirektor, hat sich für dieses Konzertjahr vorgenommen, Deutschlands Nachbarländer klingen zu lassen. Er hat darüber am Wochenende beim Brunch im dkw gesprochen und Zustimmung gefunden. Ob klassisch oder zeitgenössisch – das musikalische Schaffen kann am ehesten Grenzen und Schwellen überwinden. Beim ersten Konzert der Saison ließ der junge Komponist Philipp Manuel Gutmann (Jahrgang 1993) kraftvoll mit seiner Kunst erklären, was uns besorgt: Reaktionäre Stimmung prallt auf Zorn und Wut, willensschwaches Volk gibt sich Marionetten hin, aus Fahrlässigkeit wird Gefahr. Gutmann übersetzt sie mit „Periculum“. Seine „Szenen für symphonisches Orchester“ sind harmonisch und wuchtig, lassen Fanfaren toben und übernehmen Zitate aus Schuberts „Unvollendeter“ als Beleg für propagandistisch-respektlosen Mißbrauch selbst großer Kunst. „Ja“, sagt Gutmann, „vielleicht muss ich das weiterschreiben, wenn es neue gefährliche Schübe gibt.“ Er bekam, für Uraufführungen keinesfalls üblich, starken, anhaltenden Beifall und mit ihm das Philharmonische Orchester unter Alexander Merzyn, das sich für diese Musik fühlbar engagiert hatte.
Mit der „Unvollendeten“ in h-Moll von Franz Schubert (1797-1828) begann das Konzert. Niemand weiß, weshalb es der Komponist bei den Sätzen „Allegro moderato“ und „Andante con moto“ beließ. Von einem möglichen dritten Satz sollen 16 Takte überliefert sein. Merzyn dirigierte ohne Blatt und umfing seine Hörer mit den seligen Melodieansätzen, teils ins Hymnische schwelgend, setzte kraftvolle Orchesterschläge und ließ die Orchesterstimmen zum Ende des zweiten Satzes vielsagend flüstern.
Anton Bruckners (1824-1896) Neunte in d-Moll folgte nach der Pause. Auch jetzt dirigierte der GMD auswendig, zeugte das Stampfen und später das feierliche Schweben dieser anspruchsvollen Musik. Das Orchester zeigte sich in der gewohnten Perfektion. Es gab im Freitagskonzert Beifall, der sich bedacht steigerte.
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