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Feuilleton: Konjunktur über eine Leiche

Feuilleton | Von | 5. April 2019

Anmerkungen zu Dürrenmatts „Besuch der alten Dame“ am Staatstheater Cottbus.

Dame 19

„Der Besuch der alten Dame“ von Dürrenmatt mit (v.l.n.r.): David Kramer (Ills Sohn), Sigrun Fischer (Frau Ill), Axel Strothmann (Alfred Ill), Sophie Bock (Ills Tochter) | Foto: Marlies Kross

Cottbus. Am Sonntag, 31. März 2019, nach der Premiere war das Haus gut besucht, aber keinesfalls ausverkauft. Dabei ging es immerhin um einen Mord gegen Geld, viel Geld. Eine Milliarde (in welcher Währung auch immer) war Claire bereit zu zahlen, wenn die Stadt Alfred umbringt, der sie einst mit Kind sitzen ließ. Er hat mich zu Hure gemacht, jetzt mache ich die ganz Stadt zum Bordell, sagt sie. Auf #MeToo-Palaver steht sie nicht. Reich ist sie geworden, extrem reich. Und unerbittlich.
Eine spannende Story, die dem Schweizer Friedrich Dürrenmatt (1921-90) seit 1956 Weltruf brachte. In Cottbus gastierte 1968 die Karl-Marx-Städter Bühne mit dem Stück, und Anfang der 90er Jahre gab es eine eigene Inszenierung. Erfolgreich, wie es heißt.
Dann ist das jetzt keine Steigerung, denn diese harmlose Dame tendiert zur Langeweile. Regisseur Ronny Jakubaschk (es ist seine zweite Arbeit hier) lässt die Bürger des Städtchens eine Weile an der Bühnenrampe Bahnsteig spielen. Sie warten, kreisen mit den Armen, rollen mit den Augen und zucken ein ums andere Mal bei geräuschvollen Zugleerfahrten zusammen. Bedeutend in der Szene ist eigentlich nur ein Blumenstrauß, der, im Gegensatz zur Personage, zu ahnen scheint, dass er hier falsch ist.
Immerhin erfährt das Publikum: Die Kleinstadt ist pleite, alle Honoratioren erhoffen sich Aufschwung durch die heimkehrende Milliardärin. Alfred wird vorgeschoben; er soll ihr einst am nächsten gestanden haben. Wie nahe, enthüllt erst die Ankommende: Er hat ihr ein Kind gemacht und vor Gericht die Vaterschaft geleugnet. Sie habe es mit all und jedem getrieben, sagen gekaufte Zeugen aus. Nun also soll wieder Geld gegen Herz stehen. Ein Milliarde für das Leben des Frevlers.
Die Eisstarre bleibt aus. Susann Thiede wirkt verschrullt, keinesfalls Grande Dame. Sie gießt sich selbst Kaffee aus einer billigen Maschine ein (in einem auch sonst dürftigen Bild von Annegret Riediger) und hat nur einen Butler, wo ihr Dürrenmatt doch einen ganzen Pulk zuordnet. Die Spannung zwischen dieser zerstörten Mondäne und den in solch unwirkliche Prüfung gestürzten Kleinstädtern bleibt im Schwachstrombereich. Kaum ist ein Sägen an der Moral zu spüren, wenn der Einkauf auf Pump zur Gewohnheit wird. Familie Ill wirkt, als ginge sie der Sarg, der etwas albern ins Spiel kommt, gar nichts an. So muss, und das ist wenig für einen ganzen Theaterabend, Axel Strothmann als Afred Ill den kompletten Konflikt allein bespielen. Das macht er verhalten gründlich. Nein, ihn plagte kein schlechtes Gewissen. Die Sache ist ewig her. War’s ein Junge oder ein Mädchen, fragt er. Gestorben? Nach einem Jahr? Ach! Nur ganz allmählich bezieht er den Ernst des Milliardenhandels auf sich. Niemand sonst ist gemeint. Er stirbt für sich allein.
Es gab eine Filmversion vom „Besuch der Alten Dame“, die ging als Happyend aus. Wenigstens das blieb den Cottbusern erspart. Sie erlebten eine Bürgerschaft, die sich in Bedeutsamkeit übertraf, hier von Bürgermeister Golkowski, Lehrer Harms, Pfarrer Gebert und Polizeichef Börner gut gespielt. Sie nimmt Claires Angebot an. Das Todesurteil.
Es gab Beifall. Am 7. Mai kommt sie wieder, die reiche alte Dame aus dem Nest Irgendwo.

J.Hnr.

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