Kantinenkonflikte in goldiger Gutshaustapete

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Der Versuch, in der Bewegung des Tanzes zu formulieren, was sich offenbar in Worte schwer fassen lässt | Fotos: Rasche

Die NEUE BÜHNE spielt Goethe ausgesprochen textnah, frech und aktuell / Anmerkungen zu „Stella“
Senftenberg. Ich ging, du standst und sahst zur Erden, und sahst mir nach mit nassem Blick. Und doch, welch Glück geliebt zu werden… „Willkommen und Abschied“, bisweilen noch Schulstoff. Ja, große Gefühle. Braucht das wer?
Goethes „Stella“, jenes Schauspiel für Liebende, wird nicht oft gespielt. Der Meister war als solcher noch nicht bekannt, als er’s flott dahinschrieb. Vielmehr wusste Frankfurt von ihm als stürmischem Liebhaber, der die Fastnachtsnächte durchtanzte, vor allem mit Lili, einer 17-jährigen Blondine aus gutem Hause. Er kühlte sein Müthchen, aber sein heißes Dichterherz glühte zugleich für eine 22-jährige Gräfin zu Stollberg, die er nie im Leben traf, die ihn aber brieflich heftig erregte. Das Mädchen und die junge Gräfin. Beide zugleich. Hitzig schrieb Johann Wolfgang, selbst 26-jährig, das Stück, schickte das erste geschrieben Exemplar mit dem Vermerk „für Lili“ hinaus. Die Welt hielt es fest, neulich bekam es die Berliner Schauspielerin und Regisseurin Amina Gusner in die Hand. Sie inszenierte es für die NEUE BÜHNE.
Eine glückliche Fügung.
Die Dreiecksgeschichte aus ländlichem Adelsmilieu holt Amina Gusner respektlos in eine beliebige hiesige Kantine. Lediglich die goldbarocke-Landhaus-Tapete kommt als Zeit-Zitat mit. Ausstatter Johannes Zacher sorgt dafür, dass sie sich im blanken Kantinenboden spiegelt und mit geschmacklosen Kantinenstühlen verträgt. Schlichte Allerwelts-Wohnungstüren und ein offener schwarzer Schlund zum Abtauchen machen aus der Studiobühne das Überall und Jederzeit.
Angezogen haben sich die fünf Personen ganz und gar heutig, die Frauen gleichen sich – bis auf die roten Tanzschuhe (Kostüme Inken Gusner) eigentlich gar nicht. Für Fernando, einen keinesfalls überzogenen Macho, aber kein Problem. Frau ist Frau, da lässt er sich keine Zeit zur Auswahl. Schaut er überhaupt, oder tastet er nur geil nach jeglicher Rundung? Bernd Färber gestaltet eine Figur, die in ihrer selbstverlorenen Taugenichts-Anlage vollkommen überzeugt. Die Tragödie gerät mit ihm durch kleine Gesten (zwei Tassen Kaffee zugleich trinkend, Gefühle aus sich schüttelnd, wegjauchzend) zeitweise zum Lustspiel. Kein Problem, denn ohne Lust keine Liebe, und ohne wirkliche Liebe keine Tragödie.
Hier tragen vor allem die echten goetheschen Texte, bisweilen im Chor oder in Wiederholungen gegeneinander oder auch gegen Spiel oder Tanz deklamiert. Wie die Gedanken-Lichtvögel übers Bühnenbild kreisen, so entflattern auch die Worte mitunter der Zeit, sind mal ganz hier und dann wieder weit weg, ohne dass solche Sprünge Risse in den Charakteren hinterließen.
Die hat vielmehr der Stückeschreiber schon vorgegeben und vor allem den Frauen arg mitgespielt. Und zwar hier in Senftenberg nicht nur zweien, sondern gleich allen vieren. Statt der Postmeisterin präsentiert die Inszenierung eine Kantinendame aus dem vollen Leben (Catharina Struwe), die natürlich auch ihre sinnlichen Ansprüche vermeldet. Selbst von der zarten Lucie (eine klar heutig definierte erwachsene Tochter von Hanka Mark) lässt Fernando nicht die Finger.

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Goethes mindestens acht Personen reduziert die Senftenberger Inszenierung von Amina Gusner auf fünf, und die sind fast immer gleichzeitig präsent (v.l.n.r.): Kantinenwirtin Catharina Struwe, Juschka Spitzer als Cäcilie, ihr einst Angetrauter Fernando, den Bernd Färber gibt, beider Tochter Luci (Hanka Mark) und die entrückt Stella von Inga Wolff

Die Geschichte ist die, dass dieser reisende Ritter zunächst vor schon langer Zeit Frau und Tochter sitzen ließ, später auch seine zeitweilige Gespielin. Beiden ist nicht nur das Herz, sondern weitesgehend auch die Existenz zerbrochen. So findet er sie zufällig beieinander.
Alle Liebesschwüre, die nun losbrechen, sind keineswegs leere Worte. Während die Cäcilie von Juschka Spitzer die starke Alleinerziehende unsere Tage verkörpert, um ihren Anteil am Lebensglück betrogen, aber durchaus klaren Verstandes und zu neuer Freude fähig, steht die Stella der Inga Wolff entrückt und gescheitert da. Die beiden Frauen, die Fernando verstieß und nun aus Feigheit begehrt, könnten unterschiedlicher nicht sein. Ihr Suchen nach Auswegen erschüttert. Gift will die eine, die andere glaubt, eine Tür zu öffnen, und zu gehen. Weg von hier. Das Vernünftige tun. Aber hat das Leben dieses Angebot?
Die Bühne jedenfalls nicht; die Tür ist Attrappe, der Mauer nur vorgeblendet.
Das Schauspiel bietet zwei Schluss-Varianten an. Eine dritte bleibt denkbar. Die Samstag-Premiere war ein großer Erfolg. Viel Beifall. Viel Goethe auch. Und durchweg starke Leistungen!                   J. Heinrich