Szenenwechsel: Krieg und Krise machen den Deutschen Angst, titelt die üblicherweise gut informierte WELT AM SONNTAG.
Reisen kann helfen, dem Druck wenigstens zeitweilig zu entkommen. Zu vielen Orten sind die Wege noch frei.
Folgen Sie uns in Städte, Wüsten und auf das weite Meer… – II
Von Petra und Jürgen HEINRICH

Sie müssen in großer Not gewesen sein, die ersten Männer, die sich nach den Portugiesen in dieser steinigen Bucht ansiedelten. Es gab wohl Trinkwasser, und das war ausschlaggebend an dieser Küste, die hunderte Kilometer weit nur Wüste bietet. Auch der heutige Besucher spürt bei allem Liebreiz des Ortes sein sprödes Naturell. Wir sind in Lüderitz angekommen, der südlichsten Küstenstadt Namibias, eines Landstrichs, der früher als Deutsch-Südwest in den Geschichtsbüchern stand. Auf den ersten Blick scheint hier die Zeit eingeschlafen zu sein. Auf den Straßenschildern steht Bismarckstraße, Ringstraße, Kirchweg…, die Häuser, meist liebevoll renoviert, sind mit alten deutschen Firmen- und Besitzernamen beschriftet, und an der Turnhalle wirbt noch immer der Männer-Turn-Verein Lüderitz.

Er machte sich also in seinem kurzen, glücklosen Auftritt an diesem heimatfernen Ort unsterblich, der Sohn eines Bremer Tabakhändlers, Franz Adolf Lüderitz (1834-1886).
Indem er, auf Bodenschätze hoffend, einem Orlan-Führer den größten Teil seines Stammesbesitzes abkaufte, wurde er erster Deutscher Landbesitzer im heutigen Namibia. Allerdings ging der Deal als „Meilenschwindel“ in die Geschichte ein. Statt der 40 x 20 englischen Meilen (à 1,6 km) nahm sich Lüderitz nach preußischen Meilenmaß (7,5 km) einen Landstrich von 300 mal 150 Kilometern. All das war jedoch Wüste und brachte dem Unternehmer nur den Ruin. Zwar wurde sein Land schon 1884 offiziell unter den Schutz des Deutschen Reiches gestellt, doch Lüderitz selbst starb zwei Jahre später verarmt auf einer Expedition. Die Stadt behielt bis heute seinen Namen.

Den Ort belebten ab 1904 glanzlose deutsche Schutztruppen, die aufständische Nama auf einer vorgelagerten Insel internierten. Erst 1908 kam der große Durchbruch: Beim Eisenbahnbau nahe Lüderitz wurden Diamanten gefunden. Glücksritter und seriöse Investoren aus aller Welt kamen in die Wüste, gründeten den Ortsteil Kalmanskuppe mit einer

Mine, Wohnungen, aller Infrastruktur einschließlich einem modernen, heute noch zu besichtigenden Krankenhaus. Lüderitz blühte zu dem auf, was sich uns heute darbietet: breite Straßen wie in Berlin, kleine Häuser wie in Ströbitz, eine Bergkirche, für die Kaiser Wilhelm II. noch 1912 das große Altarfenster zu einer Szene des Matthäus-Evangeliums (8-26) stiftete. Die kleineren Fenster in prächtiger Bleiglasfarbigkeit spendeten Mecklenburgs Herzog Johann Albrecht, der Bürgerverein von Lüderitz und Privatpersonen. Geschäfte, kleine Betriebe, ein großes Kulturhaus und immer wieder pastellfarbene Giebel im Jugendstil fügen sich zu einem Bild, das an ostdeutsche Provinz erinnert. Die stattlichsten aller Häuser entstanden nach 1908, also mit dem Diamantensegen.

Für den Niedergang der deutschen Kommune, die ein reges Vereinsleben pflegte, sorgte aber nicht die nahe Wüste, sondern der Größenwahn im Kaiserreich. Mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges wurde Lüderitz an südafrikanische Truppenverbände übergeben. Trotz vielfacher Turbulenzen blieben einige deutsche Bewohner ihrer Heimatstadt treu. Noch in den 1980er Jahren gab es hier den deutschen Bäcker, dessen Sohn heute Touristen durchs Land führt. In der Kirche freut sich ein junger Mann, wenn deutsche Besucher kommen, und er erzählt begeistert von der Pflege der Heimatgeschichte, von seinen Videos, die er von jeder letzten Zugfahrt archiviert hat. Obwohl es heute, zumal als Weißer, sehr schwierig ist, in Lüderitz Arbeit und damit ein sicheres Auskommen zu finden, halten die letzten Nachkommen deutscher Siedler fest an ihrer Heimat. Neben Fischfang, Bootsbau, etwas Teppichweberei und Schafzucht sorgt heute vor allem der Tourismus für Beschäftigung. Überall stehen die Türen für Besucher offen. In den male- rischen Häuschen gibt es Galerien, die geschmackvolle Handarbeiten und allerlei Souvenirs zum Kauf anbieten. Am Hafen stehen Taxen bereit für die kleine Exkursion in die Geisterstadt Kolmannskuppe oder auch für größere Ausflüge in die atemberaubende Dünenlandschaft der Namib (frei übersetzt: „Ort wo nichts ist). Dieses „Nichts“ zu erleben, lockt zum Glück für die 13.000 Einheimischen alljährlich noch immer Tausende Besucher in diese Gegend.

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