Michael Schierack will mit Brandenburgs Union weniger von oben regulieren und weniger nach Potsdam konzentrieren
Region. Der Cottbuser Arzt Michael Schierack steht als Landesvorsitzender auf Listenplatz 1 der Brandenburg-Union. Zur Wahl am 14. September ist er Herausforderer des amtierenden SPD-Ministerpräsidenten Dietmar Woidke. Jürgen HEINRICH sprach mit ihm.
Die wichtigste Frage zuerst: Trauen Sie sich zu, erster CDU-Ministerpräsident im Roten Brandenburg zu werden?
M. Schierack: Ich bin am 14. September für alles bereit. Unser Wahlziel als Union heißt, auch im Land stärkste Kraft zu werden, Rot-Rot abzulösen.
…hin zu Rot-Schwarz?
Oder Schwarz-Rot. Mal sehen. Wir stehen in zentralen Fragen für neues Denken und Handeln. Ich nenne als Stichworte Schule, demografischer Wandel, Innere Sicherheit…
Sie kritisieren schulischen Unterrichtsausfall. Wird der nicht dramatisiert?
Im Gegenteil. Inzwischen kommt es vor, dass Schüler in manchen Fächern keine Note bekommen, weil nicht unterrichtet wurde. In Potsdam ist das sogar im Fach Deutsch passiert.
Wie könnten Sie dagegen vorgehen?
Schulen brauchen eine Vertretungsreserve. Die gibt es schon. Sie wird mit 4,5 Prozent der Personalstärke angesetzt. Die Union will hier auf sechs Prozent erhöhen. Und ich stelle mir Verfügungslehrer an zentraler Stelle vor, etwa beim Schulamt. Wenn Lehrer für Deutsch oder Mathe für längere Zeit ausfallen, sollen Direktoren Einsetzer anfordern können. Das kann mit hoher Qualität geschehen. Warum sollten nicht junge Lehrer freiwillig bei besserer Bezahlung einige Berufsjahre als „Reiselehrer“ das Land und seine Schulen kennenlernen? Das kann spannend und förderlich für Schüler wie Lehrer sein.
Das gilt ab 7. Klasse aufwärts. Und wie verfahren Sie mit den Grundschülern vor allem im ländlichen Raum?
Ganz klar: Wir lassen die Schule im Dorf! Da gibt es Varianten. Es könnten beispielsweise 1.+2. und 3.+4. Klassen jahrgangsübergreifenden Unterricht erhalten, wo es nur wenige Kinder gibt. Wir unterstützen auch die Vielfalt der Schulträger. Wo öffentliche Träger versagen, können sich auch Eltern selbst zu Schulträgern zusammenschließen. Das ist denkbar. Die demografische Situation ist herausfordernd. Wir erkennen ganz klar die Hinwendung zu den Städten.
Wieso eigentlich?
Entfernte Dörfer werden leer gezogen; sie schrumpfen auf „überzeugte Einwohner“, die als Landwirte mit riesigen Betriebsflächen, als Biogas-Erzeuger oder auch als Großstadt-Aussteiger hier leben wollen. Allein das Älterwerden begründet den Hinzug in Städte oder stadtnahe Gemeinden; nur dort gibt es ausreichend Pflegeheime, betreutes Wohnen, volle medizinische Versorgung.
Das klingt sehr nach Konzentration auf die Zentren, nach Stärken stärken…
Nein, wir sind gegen dieses rechnerische Zentralisieren. Die billigste Lösung wäre natürlich, alle Brandenburger zögen nach Berlin und der Rest bliebe Wolfserwartungland – überspitzt gesprochen. Aber Aufgabe der Politik ist es, den Menschen überall gutes Leben möglich zu machen. Die Union will, dass zentrale Aufgaben zum Beispiel nach draußen verlagert werden. Die neue Schulämter-Struktur läuft schon wieder voll dagegen. Wir hatten kompetente Schulämter in den Regionen. Jetzt soll ein zentrales in Potsdam sein, in Cottbus nur ein untergeordnetes. Warum? Wenn schon, dann die Zentrale nach Cottbus, Senftenberg oder Eberswalde. Gut bezahlte Beamte können nach dort gehen, dort die Struktur stärken. Ich halte auch nichts von einer Kreisgebietsreform um jeden Preis. Das verlängert nur Wege.
Für die es keinen ausreichenden öffentlichen Verkehr gibt…
Richtig. Wir denken Mobilität so, dass jeder aus unserem Land mit öffentlichen Verkehrsmitteln in maximal 90 Minuten Berlin erreichen soll, sein Oberzentrum in maximal 60 Minuten. Wir müssen auch solche Normen setzen für Wege zum Arzt, zu Theatern, zur Schule.
Sie nannten auch Innere Sicherheit als Schwerpunkt. Haben wir zu viel Polizisten?
Sicher nicht. Aktuell gibt es etwa 8 300; die Rot-Rote Polizeireform nannte einmal 7 000 als Ziel. Das ist völlig falsch. Für uns gilt der tatsächliche Sicherheitsbedarf. Will man diesen Bedarf seriös feststellen, dürfen Interventionszeiten und Statistiken nicht manipuliert werden.
Wie das?
Speziell aus Cottbus wurde die polizeiliche Anweisung bekannt, dass die Zeit, bis wann ein angeforderter Polizist vor Ort erscheint, nicht vom Moment eines Notrufs, sondern erst dann gemessen wird, wenn einer frei wird. Noch brisanter ist die Methode, Diebstähle zu erfassen. Passieren etwa in einer Straße zehn ähnliche Einbrüche, werden sie einem fiktiven Täter zugeschrieben; es handelt sich so um eine Straftat. Wird der Dieb gegriffen, hat die Polizei zehn aufgeklärte Fälle. Trotz solcher Kinderei entnehmen wir dem aktuellen Polizeibericht, dass die Zahl der Wohnungsdiebstähle um 40 Prozent gestiegen ist und die Kfz- und Fahrraddiebstähle stark zunehmen.
Würden mehr Polizisten weniger mogeln?
Polizisten mogeln nicht. Sie erhalten nur fragwürdige Dienstanweisungen. Am Ende geht es um ausreichend Polizeipräsenz. Und zwar nicht nur solche, die auf das Geldkassieren durch Blitzer aus ist. Wir reden, gerade in Grenznähe, von wirkungsvollen Polizeikontrollen und von Prävention für mehr reale Sicherheit. Das geht nicht mit noch mehr Abbau.
Wo sieht die Union die brandenburgische Wirtschaft?
Wir stehen klar zur Braunkohle als Brückentechnologie für die nächsten Jahrzehnte. Ansonsten sind wir, von wenigen Industriekernen abgesehen, ein Mittelstandsland und haben hier Reserven. Wenn die Zukunftsagentur Brandenburg (ZAB) Ressourcen erkennt, die Investitionsbank des Landes (ILB) aber nicht nachzieht, ist das ein störendes Abstimmungsproblem. Und wir müssen – das hat wieder mit Schule zu tun, speziell mit guter Oberschule – junge Menschen ins Handwerk bringen.
Welche Rolle kommt der BTU aus Ihrer Sicht zu?
Ihre Zwangsneugründung, wenn dies schon sein soll, muss Chefsache werden. Bisher haben Vertreter exekutiert, was eine Ministerin wollte. Hier muss deutlich mehr getan und vor allem zügig gehandelt werden.
Warum äußert sich der Ministerpräsident nicht dazu?
Das müssen Sie ihn fragen. Wie die Dinge stehen, lässt er die Region allein. Ich halte für wichtig, dass in dieser neuen Universität forschen können soll, wer forschen kann und will, und dass anwendungsbezogene Lehre betreiben kann, wer das am besten versteht. Beides braucht jedenfalls gerade die Wirtschaft hier, die mit den bisherigen Hochschulen schon sehr gut vernetzt ist.
Danke für das Gespräch.
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