Anmerkungen zur Cottbuser „Carmen“ in der Regie von Matthias Odlag
Cottbus. Kein Zweifel: Hier hat die Liebe bunte Flügel. Sie kommt betörend, mit Raffinesse und Sensibilität daher und doch auch ein wenig gehetzt. Marlene Lichtenberg entfaltet unglaublich intellektuell ihren dramatischen Sopran, verschwindet fast von der Bühne und ist doch, alles beherrschend, ihr Mittelpunkt. Sie weiß sich ganz auf die betörende Musik in ihren feinsten Nuancen und auf diesen ungekünstelten Text zu konzentrieren; das außerdem Nötige hat ihr die Natur in bestem Maße geschenkt.
Die vielleicht beliebteste Oper der Welt profitiert von ihrer so pointiert verfeinerten Novelle (von Merimée), der Alexander Cesar Leopold, genannt Bizet (1838-1875), die wunderbar südländische Musik gab. Es ist ein Epigramm auf die Leidenschaft, was hier so fühlend komprimiert wird.
Regisseur Matthias Oldag, der auch das Bühnenbild selbst schuf, will diese Sucht nach Glück und das Recht darauf auch im einfachsten, oft ins Unrecht gestoßenen Milieu erklären. Er überblendet die ersten Szenen mit Videobildern. Eine Technik-Spielerei, die lange und zäh doziert und damit stört.
Besonders der Auftritt Micaelas als reines Frauenbild (Gesine Forberger ganz brilliant) leidet herb unter dem optischen Wirrwar des Beginns.
Der „jugendliche Heldentenor“ José, dem die verhängnisvolle Blüte Carmens zufällt, steigert sich zu fesselnder sängerischer Dramatik (Jens Klaus Wilde), aus der heraus der tragische Schluss verständlich wird. Den Burschen vom Lande hat die Wucht vorher ungekannter Lust erst aus der Pflicht und dann aus der Lebensbahn gerissen.
Im Kontext tragen Soldaten, Schmuggler, Ganoven, ein lauer Torrero und feine Damen zum spannenden Spiel Gutes bei. Carola Fischer (Reuschers Carmen von 1990 hier in Cottbus) singt die Mercedes, Debra Stanley die Frasquita. Hardy Brachmann und Heiko Walter spielen voller Witz als buffo Tenöre der schaurig schönen Romanze entgegen. Lockerheit hat die Inszenierung auch, weil sie sich für die gesprochenen Dialoge entscheidet. Das Kraftvolle speist sich aus präzise einstudierten Chören (Christian Möbius). Marc Niemann hat musikalisch ein forsches Tempo angeschlagen, passend zur vollkommen unsentimentalen Lesart. Es gab viel Beifall, dabei berechtigten Jubel für Carmen.
Nächste Vorstellung ist am 6. November. J. Heinrich