Lerchenklang und anderes in Petras’ „Laboratorium für soziale Phantasie“
Anmerkungen zu einer neuen theatralischen Zumutung am Staatstheater Cottbus
Cottbus. Es ist ein neuer Petras, dieser Marathon „Ich mach’ ein Lied aus Stille“ – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Der ambitionierte Schauspieldirektor experimentiert am Publikum vorbei in seinem „Laboratorium für soziale Phantasie“ und glaubt, einem Physiker gleich, Teilchen zu beschleunigen, und das diesmal mittels Gedichten, Liedern, Sprechchören, Texten, Videos und Bildkunstwerken in drei Stücken über viereinhalb Stunden. Vorahnungen ließen schon zur Premiere reihenweise Sitzplätze leer bleiben, und auch am zweiten Abend lichtete sich das spärlich gefüllte Gestühl Pause um Pause. Kann das gutgehen?
Um Heimat geht es, und allen nicht ganz so Jungen im Publikum klingt Natschinskis Pionierlied „Liebe Heimat, deine Weiten…“ im Hinterkopf. Es gibt gleich auch fast den „Lerchenschlag im jungen Sommertag“, wenn auch als beseelte Mauersegler (Golkowski/Fischer in schönem Duett) nach Poesie von Eva Strittmatter. Wir sind im ersten Teil der Petras-Triologie, der leider in affigen Hippie-Kostümen und flacher Musik von Juli Niemann und Andreas Wittman verschmilzt wird.
Erwin Strittmatters 1962 erschienener Neubauern-Roman „Ole Bienkopp“ gibt das Rohmaterial für Teil II des Abends. Da ist kein Zeitchen für die Wortspiele des „Wundertäter“- und „Laden“-Dichters, denen Schroths „Ole“ 1996 nachspürte, aber immerhin eine kontrastreiche Auseinandersetzung zwischen Volkskörper und Individuum. Das macht Petras mit den Mitteln des antiken Sprechchores, der, die Enteignungsstraftat der Bodenreform schluckend, individuelle Fortschrittsträume schei- tern lässt. Oles Freund-Genosse wird vom Baum erschlagen, er selbst geht unter, allerdings viel zu furchtbar leidend. Kai Börner hat mit der Titelrolle endlich wieder eine ihm gemäße Aufgabe und überzeugt damit. Das komplette Schauspielensemble mit Torben Appel, Manolo Bertling, Sophie Bock, Torsten Coers, Sigrun Fischer, Gunnar Golkowski, Charlotte Müller, Juli Niemann, Ariadne Past, Markus Paul, Johannes Scheidweiler, Nathalie Schörken, Lucie Luise sowie Susann Thiede, Eric Werchan und Maria Tomoiaga a.G. legt sich in den beiden Strittmatter-Heimaten, wie teilweise auch im sogleich folgenden „Daheim“ nach Judith Hermann, glänzend ins Zeug.
Den noch ziemlich frisch vom Buchmarkt genommenen Roman der Berliner Autorin hat Armin Petras zu einer Uraufführung gefasst, in der den Ursachen der durchaus auch heimatüblichen Vereinzelung parallel zum Spiel durch Detailvergrößerung per Live-Kamera auf den Grund gegangen wird. Das ist hochspannend, zumal sich Rafael Ossami Saidy als ein Regisseur und hier Kameramann vortrefflich mit dieser ins Intime drängenden Technik auskennt.
Das Fazit: Regisseur Armin Petras, unterstützt von Bühnenbildner Julian Marbach und (bis auf Albernheiten in Teil I deutlich zeitgemäß agierend) Kostümgestalterin Anette Riedel haben drei für sich genügende Stoffe in eine theatralische Zumutung gepfercht, in der so manche Reize verhallen. so etwa die Zutat der Bildwerke als Bühnenhintergrund aus dem Fundus des Brandenburgischen Landesmuseums für moderne Kunst, dem Stiftungspartner des Staatstheaters.
Leider hilft auch der gelangweilte Vortrag von Dramaturgin Franziska Benack im oberen Foyer als Einführung zum Projekt in keiner Weise, wenigstens etwas Vorspannung zu erzeugen.
Kein schöner Theaterabend also. Aber Natschinskis Heimatlied „..rings die ernteschweren Auen sind vor Freude licht und laut. Was die Väter kühn erbauen, ist uns morgen anvertraut.“ ist ja auch nicht aufgegangen. Vielleicht schauen Sie doch mal rein. Nächste Vorstellungen sind Donnerstag, 28.12., 19.30 Uhr, Sonntag, 14. Januar, 19 Uhr, und Samstag, 17. Februar, 19.30 Uhr. Jürgen Heinrich
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