Land und Leute: Eine lustvolle Nacht mit „Fontäne“
Land und Leute | Von CGA Verlag | 9. August 2019NeueBühne-Spektakel „Fontane Am Zug“ begeistert die Leute mit intelligentem Witz.
Senftenberg. „Der ziiieht sich…“ stöhnen Fontaneleser mitunter. Mag sein; Texte anderer Autoren des 19. Jahrhunderts quälen sich ähnlich durch damalige Etikette. Das ist aber kein Problem für „Fontane am Zug“ auf dem Senftenberger Bahnhof und seinen Nebengleisen. Die hoch aufgedrehte Komödiantenschar nebst professionell auftretenden Laien aus dem Jugend- und dem Seniorenklub zaubert ein frisches, witziges und hochintelligentes Fontanebild in die Nächte. Rund um den alten Wasserturm, die Stückguthalle und diverse Schuppen bis hinein in den (in Betrieb befindlichen) Bahnhof und seine sonst geschlossenen Tunnel (Bahnsteig 12 Richtung Finsterwalde…) entfaltet sich (inclusive gastronomischer Versorgung) eine Art Geburtstagsparty, die den 200-Jährigen hellwach werden lässt.
Wie es Spektakel-Usus ist, hat das Publikum allerlei Hinweise, Fähnchen und Schilder zu beachten, um im Bahnhofgedränge nicht den Anschluss zu verlieren. Schon hier treten Jan Mixsa a.G. und Mirko Warnatz als hilfreiche Bänkelsänger (man erlebt beide später in weiteren Rollen bis hin zur Showband im Nachprogramm) herrlich anheizend auf.
Regisseur Tilo Esche, dem nur zwei Wochen(!) für die Einstudierung nebst Abstimmungsmarathon mit der Deutschen Bahn blieben, hat eine köstliche Textvorlage von Tilo Esche und Katja Stoppa in teils überbordende Bilder gefasst, die mit ansteckender Begeisterung an unterschiedlichen Orten zelebriert werden. Nichts ziiieht sich hier. Fontanes literarische Texte kommen, um der Wahrheit die Ehre zu geben, auch nur aphorismenartig vor. Vieles haben die Autoren aus seinen Tagebüchlein und zu Tausenden überlieferten Briefen gezogen. So ergibt sich in zweckmäßig überraschenden Bühnenbildern (Andreas Walkows) und Kostümen der Zeit (Nora Maria Bräuer) ein Puzzle, dem Theodor Fontane (sein Arzt nennt ihn in hugenottischer Vornehmheit „Fontäne“) als geistreicher Mit-Reisender des Abends entspringt. Drei kleine Szenen für Grüppchen und ein Stück für alle Zuschauer werden geboten, unterwegs interessante Wanderstationen (von der Apotheke bis zum Friedhof) und zuletzt in der Güterhalle (letzte Funktion VEB Obst, Gemüse, Speiskartoffeln, kurz OGS) Tanz mit den „Fliegenden Lokomotiven.“
In „Theodors Frauen“ reflektieren Nikole Haase a. G. als starke Emilie Fontane, Esra Maria Kreder (auch Klavier spielend) als Melanie von der Straaten und Anja Kunzmann als exaltierte Schauspielerin Franziska ihre Beziehungen zu dem Vielreisenden. Die „Gaumenfreuden“ spielen in der längst geschlossenen Bahnhofs-Mitropa. Daniel Borgwardt, Sybile Böversen, Hanka Mark, Heinz Klenvenow und der hochbegabte Max Hänsel aus dem Jugendclub bieten hier eine bürgerliche Frühstücksszene. Im Tunnel, der dem alten Spreewaldtunnel am Cottbuser Bahnhof nicht unähnlich ist, führen, in einer „Zwischenzeit“ erwachend, Storm und Fontane (Dimitrij Breuer und Roland Kurzweg) einen versöhnlichen Dialog. Lena Conrad ermöglicht die Auferstehung mit Hilfe des Faktotums, eine starke Nummer von Alfred Tempel aus dem Seniorenclub.
In wechselnden Rollen, allesamt bravourös, zeichnen Tom Bartels, Patrick Gees, Marianne Helen Jordan, Jan Mixsa, Catharina Struw, Mirko Warnatz kolportierend die Biografie des Neuruppiners Apothekersohnes nach. Allein die Geburt von vier Geschwistern in zwei Minuten ist sensationell. Die Einfälle überschlagen sich nur so.
Großartig alle zusammen!
Die Gastspiel-Szenen am und auf dem Zug, die Fontane als französischen Kriegsgefangenen zeigen, können das vorherige Tempo nicht ganz aufnehmen. Jens-Erwin Siemssen (Buch und Regie) ist sehr detailverliebt und so strengt das solide Spiel etwas an.
J.Hnr.
Weitere Beiträge aus dem Seenland finden Sie hier!