Und immer tost schäumend das wütende Meer

Anmerkungen zu Verdis „Otello“ am Staattheater Cottbus in Regie von Jasmina Hadziahmetovic.

Otello 1
Ein aalglatter Gentlemen (Jago: Andreas Jäpel, stehend) träufelt dem dafür äußerst zugänglichen Otello (Jens Klaus Wilde) das Gift rasender Eifersucht ein. Fotos: Marlies Kross

Cottbus. Bravo-Rufe schon zur Pause nach dem zweiten Akt und stürmischer Beifall am Ende – das gab es im für Corona-Verhältnisse gut besetzten Großen Haus schon lange nicht.
Die mit Spannung erwartete Inszenierung der neuen stellvertretenden Operndirektorin Jasmina Hadziahmetovic wurde freudig gefeiert. Giuseppe Verdis Spätwerk „Otello“, seinerzeit ein Meilenstein der italienischen Sing-Oper (bejubelte Uraufführung 1887 an der Mailänder Scala), kam mit modernen Bühneninstrumentarien einfallsreich und leidenschaftlich daher. Nur ein Bühnenbild (Christian Robert Müller) für alle vier Akte aus Hafensteg, Leiter, Kaimauer und einem Baum, alles in düsterem Grau, reichte aus, das Shakespeare-Drama ergreifend zu erzählen. Die teils dämonische Musik entfaltete sich bei explosiver Hingabe des Dirigenten Alexander Merzyn in ganz besonderer Weise, weil das Orchester in mystischem Licht auf der Hinterbühne präsent war. Den Solisten davor und dem Publikum kam das sehr entgegen; jede Nuance der Partituren war gut verständlich. Auch die Stimmen des Chores (Einstudierung Christian Möbius), auseinandergezogen im ersten Rang verteilt, erfüllten atmosphärisch in vollem Klang den Theaterraum. Stürmisch, wie entfesselt zumeist, drängte die Musik in die Tragödie, setzten die Solisten immer wieder vierstimmig den Gefühlen zu. Und bei alledem toste videogezeugt (durch René Liebert) schäumend auf der Bühnenrückwand das wütende Meer, in dem Otello (Jens Klaus Wilde) eben eine siegreiche Schlacht geschlagen hatte. Keineswegs in Heldengeste von oben, sondern geschunden aus der Tiefe keucht er, von furioser Orchestermusik erhoben und von Desdemona (Tanja Christine Kuhn) sanft gestreichelt, aus der Tiefe hervor.
Nein, ein Mohr ist er nicht, auch kein angeschminkter. Das nimmt der Geschichte einen der Kernkonflikte, nämlich des (unerträglichen) schwarzen Souveräns unter Weißen. Jens Klaus Wilde muss sich also aus anderen Motiven umstellt sehen, um in diese mörderische Panik zu geraten. Das kann er, der überaus spielfreudige Tenor, der sich stimmlich müht, aber viel verdienten Beifall bekommt. Schmachtend singt er die Geliebte an. „Mein Krieger!“ himmelt sie zurück. Später überdreht das auch mal. Da fällt er um, wo er sich doch textlich im Zorn aufbäumt. Er ist ein Otello, den man nicht schnell vergisst. Alternierend wird ihn der spanische Tenor Xavier Moreno singen.
In Idealbesetzung der fiesen Jago-Figur entfaltet sich Andreas Jäpel zu einem kalt kalkulierenden Politikertyp, geschniegelt mit Schlips und anonymisierendem Zweireiher. Der Bariton erblüht und entfaltet sich gelockert, als sei es das höchste Glück dieser Erde, ein Schurke zu sein, ein „grausamer Gott“, als der er sich fühlt. Ein Wunder, dass er am Schluss nicht Pfiffe bekommt, so bösartig, wie er agiert. Aber wir sind in der Oper, und da dürfen auch Lumpen (oder besonders die) gefallen. Sein Weglaufen durch eine Tür des Parketts ist aber nicht der originellste Regie-Einfall.
Mit ihrem dramatischen Sopran und stiller Leidensfähigkeit überzeugt die Heidelberger Sängerin Tanja Christine Kuhn, die jetzt in Münster engagiert ist. Warum wohl liebt eine schöne Blonde einen nicht mehr ganz jungen Krieger, zumal sich andere, Rodrigo (Dirk Kleinke) und vor allem Cassio (Alexey Sayapin), anbieten? Sie singt von der Wüste und von dem schweren Leben, aus dem ihr weißer Mohr kommt. Während der im Selbstmitleid vergeht, klagt sie ergreifend: „Ich bin der unschuldige Grund für deinen Kummer!“ Ja, sie beherrscht dieses Leiden, vergräbt und begräbt sich am Ende selbst in ganz leisem Singen voller Zweifel und Nachdenklichkeit. Sie hat sich „Hure“ nennen lassen müssen und versteht rein gar nicht, was da um sie vorgeht. Sterbend noch im eigenen Blute schützt sie ihn, den ewig Geliebten. Das singt und spielt sie so sauber ohne jede übertreibende Geste, dass „klassischer Kitsch“ aus anderen Jahrhunderten sehr viel modernen Beifall findet.
Bravo dem ganzen Ensemble für dieses Verdi-Meisterwerk in so überzeugender Inszenierung.
Auch Ulrich Schneider als reinstimmiger Lodovico, Daniel Foki als Montano, Rahel Brede als Jagos Frau Emilia und in kleiner Rolle Alexander Trauth sind hierbei eingeschlossen.
Nächste Vorstellungen gibt es schon am Sonnabend (23.10.2021, 19.30 Uhr), dann am 12. November 2021, 19.30 Uhr, und am 28. November 2021, 16 Uhr. J. Heinrich

Otello 2
Verzweiflung nahe dem Wahnsinn: Desdemona (Tanja Christine Kuhn a.G.) begräbt sich, eben noch lebend, selbst.

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