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Spremberg: Revierwechsel – Nach 25 Jahren „durch und durch Lausitzer“

Spremberg, Wirtschaft | Von | 17. April 2015

Der Spremberger Ulrich Freese (SPD) streitet im Bundestag für „Braunköhler“, Landwirte und konsequenten Hochwasserschutz
In diesen Apriltagen zählt er: Die Hälfte seiner 50 Jahre Berufsleben verbrachte er im Osten – eine gute Entscheidung

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Uli Freese packt den Bullen bei den Hörnern. Der Spremberger Bullwinkel ist einer seiner Lieblingsplätze in der Stadt, „weil wir hier in unserer politischen Arbeit mit den Bürgern das Gespräch suchen“. Würde nach seinem Cottbuser Lieblingsplatz gefragt, würde er im oder am Eiscafé am Altmarkt sitzen. „Dort toben sich am liebsten meine Enkel aus, während ich immer Leute für interessante Gespräche treffen kann.“ Foto: J. Hnr.

Spremberg. Er ging mit 13 in die Schlosserlehre. Später erwägte er das Abenteuer „auf Montage“. Doch er blieb, fuhr, wie sein Vater, 1000 Meter tief ein, malochte im Flöz, kroch 200 Meter im gerade mal  80 Zentimeter hohen Streb zum Ort, wo Reißhobel und Schremmwalze wummerten. Erst Jahrzehnte später verließ er das Ruhrgebiet. Jetzt hieß das „Abenteuer“ deutsche Einheit. Aus dem „Steinköhler“ Uli Freese wurde der „Braunköhler“, über Leipzig kam er hierher in die Lausitz. Um für immer zu bleiben.
Jürgen HEINRICH sprach diese Woche mit dem Bundestagsabgeordneten und Vorsitzenden des SPD-Unterbezirks Spree-Neiße.
Wollten Sie als Junge unbedingt Bergmann werden?
Der Bergbau prägte meine Heimatregion. Vater arbeitete unter Tage. Die Zeche nährte uns alle. Als Betriebsschlosser gehörte ich dazu.
Hatten Sie Beklemmungen unter Tage?
Ich ging zwölf Tage vor meinem 14. Geburtstag in die Lehre und mit 15 dann schon in den Schacht. ‘Willst du arbeiten oder priemen?’ wurden wir Stifte angeraunzt. Und dann bekamen wir Priem und haben den Saft geschluckt und uns wurde schlecht. Dann hieß es: ‘Wenn die Arbeit fertig ist, könnt ihr heim’. Wir haben geklotzt, und am nächsten Tag war der Berg Arbeit größer. Wir haben gelernt, Zeit zu sortieren.
…und auf dem Arschleder zu sitzen.
Das Arschleder – das war Schutz gegen blaue Flecken und die Gefahr von Hämorrhoiden auf nasskaltem Stein. Steinköhler und Braunköhler gehen ganz verschieden in den Berg. Manchmal befrozzeln sie sich, aber im Grunde nehmen sie sich gegenseitig ernst.
Bei welcher „Steiger“-Strophe bekommen Sie Gänsehaut?
Wenn das Lied angestimmt wird. Gemeinsam. Da spüre ich diese Hochachtung für eine Zunft. Bergleute sind ja auch besonders fromme Leute.
Sie auch?
(denkt nach) Wenn ich einem Bruch knapp entgangen bin oder  in anderen Situationen ist mein „Gott sei Dank“ nicht nur gesprochen, sondern auch gefühlt.
Was ist die „Akademie der Arbeit“ (hier qualifizierte sich Uli Freese in Frankfurt/Main für seine Karriere in der Gewerkschaft)?
Eine 1921 an der Johann-Wolfgang-von-Goethe-Universität gegründete Fortbildungsakademie für einfache Menschen.
Ähnlich der ABF (Arbeiter- und Bauern-Fakultät) hier?
Wir kamen nicht zum Abitur, aber in elf Monaten zu einer Hochschulreife. Der Idee war: Arbeiter haben die Uni gebaut. Sie wollen da jetzt auch rein.
Was wussten Sie vor der Wende über den Osten?
Ich war als Tourist in Dresden und Ostberlin, und ich wusste vom industriellen Besatz des Landes. Die Dimensionen lernte ich erst danach kennen.
Was genau bewog Sie, in die Lausitz zu gehen?
Ich war stellvertretender Schulleiter, habe politische Bildung betrieben und stand vor einer Beförderung. Aber nun fragten ostdeutsche Gewerkschaften nach Hilfe. Es mag pathetisch klingen – aber mich bewegte damals: Wenn Einheit und Recht und Freiheit nicht nur leere Worte für Dich sind, musst Du da jetzt dabei sein. Dass es die
Lausitz wurde, lag an dieser Landschaft, die meinem Kindheitsbild entsprach; ich bin überwiegend in der Lüneburger Heide aufgewachsen. Und dann wollte ich von hier aus auf Ausgewogenheit zwischen mitteldeutschem und Lausitzer Revier einwirken. Das war damals ein brisantes Thema.
Übrigens: Meine Frau sagte: ‘Ich seh’ das Funkeln in deinen Augen; wir gehen zusammen.’ So sind wir hier.
Warum gerade Spremberg?
Das ergab sich. Erst wohnte ich im Lehrlingswohnheim in Hoyerswerda. Spremberg gefiel uns.
Haben Sie „Buschgeld“ bezogen?
Welches Geld?
Abfindung für die Entbehrungen im Wilden Osten.
Ich hatte das Schuleitergehalt. Wenn Ostdeutsche Gewerkschafter nach Westdeutschland gingen, um dort zu arbeiten, bekamen sie Trennungsgeld und alle zwei Wochen die Kosten für die Heimfahrt.
Um beim Geld zu bleiben: Der Bundestag verzeichnet Sie unter den zehn stärksten Nebenverdienern.
Da bin ich nicht sicher, ob das stimmt. Ich erhalte als Arbeitnehmervertreter in Aufsichtsräten in der Tat beträchtliche Tantiemen, mit jetzt rückläufiger Tendenz. Das Geld führe ich überwiegend in Stiftungen ab.
Welchen Luxus würden Sie sich denn gern leisten, wenn Sie die Zeit dafür hätten?
Luxus? Ich würde gern mal mit dem Rad von Zittau entlang der Neiße und Oder bis zur Ostsee fahren. Aber ist das Luxus? Es geht mir gut. Ich kann leben, gut Urlaub machen, die Raten für meine Häuschen zahlen.
Überkommt Sie manchmal Heimweh?
Gar nicht. Ich fühle mich durch und durch als Lausitzer. Meine Frau bedauert, dass sie ihre Mutter, die Schwestern und die Nichten zu selten sieht. 623 Kilometer sind eine weite Strecke.
Glauben Sie, dass Ihre Eltern stolz auf Sie sein können?
Mein Vater ist 85. Ja, ich glaube, er ist stolz, dass aus einem einfachen Jungen etwas wurde. Wir telefonieren ab und zu.
Meinen Sie, dass auch Ostdeutsche stolz sein können auf ihre Biografien?
Natürlich sollten sie das. Die Jugend wurde hier gut ausgebildet, die Leute haben unter den Verhältnissen solide gearbeitet und bedeutende technische Entwicklungen erreicht. Und sie haben die gewaltigen Reparationsleistungen geschultert.
Was halten Sie für lesbarer: „Blechtrommel“ von Grass oder Strittmatters „Laden“?
Ich habe beides verfilmt gesehen, nicht gelesen. Der Laden ging mir nahe, weil er dem Denken der Heide entspricht, die „Blechtrommel“ fand ich historisch hochinteressant.
Sie sind bekennender Braunkohle-Lobbyist. Macht das nicht einseitig?
Ich bin auch Lobbyist für Landwirte und kümmere mich aktuell um die Renten für Inhaber von Höfen und um Hochwasserschutz. Und ich arbeite in der „Königsklasse“ – im Haushaltausschuss – wie ich denke – sehr konstruktiv mit.
Sie sind ja gar nicht erst „Hinterbänkler“ geworden, sondern gleich nach vorn gestürmt im Bundestag. Worüber reden Sie dort als nächstes?
Eine Sitzordnung gibt’s nur für die ersten beiden Reihen. Wer früh kommt, sitzt dann weit vorn. Ich setze mich gelegentlich ganz nach hinten, um mit Ministern etwas zu bereden. Worum es da geht? Darüber halte ich die Wähler unter www.uli-freese.de immer im Bilde.
Danke für das Gespräch.

Zur Person
Ulrich Freese ist am 12.4.51 in Drevenak/Westfalen geboren. Nach Volksschule Lehre Betriebsschlosser, Arbeit unter Tage, Zeche Schlägel&Eisen (1975: 2 Mio. t Steinkohle, 1990 Stilllegung) Nach „Akademie für Arbeit“ Frankfurt/M. Wechsel zur IG Bergbau und Energie (IG BCE), dort 1990-97 Vorsitzender Bezirk Lausitz mit Sitz in Cottbus, dann Landesvorsitzender Brandenburg/Sachsen; 2004-13 stellv. Vorsitzender IG BCE. 2005-14 ehrenamtlicher Vorstandsvorsitzender Deutsche Rentenversicherung Knappschaft Bahn-See, hier persönlicher Einsatz für Standort Minijob-Zentrale in Cottbus (Neubau am Bahnhof).
Seit 1970 SPD, 1993-2003 und wieder seit 2013 Vorsitzender SPD-Unterbezirk Spree-Neiße. 1994-2004 Landtag Brandenburg, 2008-14 Kreistag Spree-Neiße.
2013 über Landesliste Abgeordneter im 18. Deutschen Bundestag, hier Mitglied der Ausschüsse für Wirtschaft und Energie, für Gesundheit, für Ernährung und Landwirtschaft sowie im Haushaltausschuss. Abgeordnetenbüro im Paul-Löbe-Haus Berlin und in Spremberg, Lange Straße.
Kontakt: www.uli-freese.de



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