Cottbus: Anmerkungen zu Carl Maria von Webers „Freischütz“ in der Fassung von Tomo Sugao

Büro-Romantik – mit allen Mitteln.

Freischützszene
In der Optik reduziert sich die Romantik der Oper auf den Video-Hintergrund. Szene mit Max (Roman Payer) sowie Herren des Opernchores und des Extrachores Foto: © Bernd Schönberger

Cottbus. Am 19. Oktober hatte – wieder einmal – „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber in Cottbus Premiere. Wir sahen die gefeierte Vorstellung am Dienstag danach.

Vor gut 200 Jahren ist das Werk zuerst im Schauspielhaus am Berliner Gendarmenmarkt aufgeführt worden und war musikalisch ein Riesenerfolg. Das Lied von der „Himmelblauen Seide“ der Brautjungfern wurde über Nacht zum Gassenhauer. Die erste romantische Deutsche Oper trat ihren Siegeszug an. In jüngerer Zeit wird sie vom Regietheater geknetet; im Bregenzer Sommer bekam sie gar einen eigenen Text mit neuer Story.

Hausregisseur Tomo Sugao hat in Cottbus eine andere Idee. Wenn Weber sein Stück gleich nach dem Dreißigjährigen Krieg ansiedelte, als Nachkriegsstück also, müsste es sich auch als Nachwendedrama darbieten lassen, glaubt er. Kriege und auch friedliche Revolutionen hinterlassen zerrüttete Seelen. Und so wirft er dem Zuschauer zur wunderbaren, kompositorisch der Natur verbundenen Ouvertüre, die Johannes Zurl mit seinem Philharmonischen Orchester hinreichend gemütvoll aufklingen lässt, das Bild eines träge-turbulenten 90er Jahre Ost-Großraumbüros hin – mit diesen klobigen Bildschirmkästen früher Computer, Sektkelchen auf dem Kühlschrank und uniformen Typen, die sich an die firmeneigenen Aktenkoffer klammern. Sie belauern sich, denn sie wollen eigentlich nichts, nur nach oben, und das mit allen Mitteln. Ob das gutgeht?

Für die Karrieristen vermutlich nur ausnahmsweise, in Sugaos Regie schon. Er spielt das Büro durch, hat sich aber den angesagten Bühnen- und Video-Künstler Momme Hinrichs hinzugeholt, der in perfekter Zurückhaltung Projektionen hinter den Raum legt, um Romantik und reale Persiflage zu verknüpfen. Mit dem Gast Roman Payer ist die wichtige Partie des Max zu still besetzt. Sein Freund Kaspar (Andreas Jäpel) verführt ihn nicht nur, sondern übertönt ihn auch mit großer Stimme und souveränem Gestus.

Wie aus einer anderen Welt in herrlichem Sopran übersingt die wunderbare Agathe von Gloria Jieun Choi die Szene, in allen Sorgen getröstet von Ännchen, der sie temperamentvoll und zart umsäuselnden Anne Martha Schuitemaker. Den Firmenchef-Erbförster gibt Heiko Walter energisch, friedenstiftende Klugheit kommt vom schwarzen Eremiten-Bass des Ulrich Schneider herab von der Proszeniumsloge. Ungewöhnlich heutzutage, wo es an Weisheit von oben so arg mangelt.

Dass der Eremit von außerhalb singt, mag an der wenig praktikablen Bühne (ebenfalls Momme Hinrichs) liegen, deren hausartiges Gestell irgendwie im Wege steht. Immerhin gelingt es, mit einer Art Schmiedefeuer einen Wolfsschlucht-Ersatz mit Grusel-Effekt zu bieten. Um den wunderbaren Jägerchor (Einstudierung Christian Möbius) zu motivieren, haben die Ausstatter (Kostüm Birte Wallbaum) viele Hirschgeweihe auf Menschenköpfe gepflanzt, und auch beim den Jungfernkranz beließ man es nicht bei vier Figuren, sondern bot einen üppig biedermeierhaften Reigen. Das alles führte zu reichlich wohlverdientem Beifall. Das Freikugel-Gießen ist wieder angesagt am 22. November und am 1. Weihnachtstag. Karten gibt’s auch online. J. Heinrich

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