Cottbus. Wer Sansibar besucht, trifft Freddie Mercury auf der Insel vor Afrikas Ostküste überall, vor allem aber im UNESCO-Ort Stone Town, wo er 1946 geboren ist und sich zuhause fühlte. Die Leute erzählen von ihm mehr als vom schillernden Sultan, schwärmen liebevoll, als habe jeder irgendwann mit der Pop-Ikone ein Glas geleert in dem Strandlokal, das nun seinen Namen trägt – das Mercury. Zu „Freddie“ wurde der indisch stämmige Farrokh Bulsara im noblen indischen Internat, den Nachnamen borgte er sich vom antiken Götterboten, dem immer Reisenden.
Auf der allzu kurzen Reise seines Lebens suchte Merkury das Glück, nahm es sich in heftigsten Formen, und gab der Welt, ungepaukt, aus sich heraus Geniales. Seine Rock-Balladen mit „Queen“ wurden Hymnen, allen voran „We are the Champions … the Champions of the World.“
Solch eine Persönlichkeit im Tanz zu porträtieren, braucht mehr als schöne Schritte und Pirouetten – viel, viel mehr. Schon das erste Bild dieser außergewöhnlichen Ballett-Uraufführung in der Kammerbühne des Staatstheaters Cottbus macht die Herausforderung deutlich. Im schwarzen Raum unirdisches Beben, Vibrieren. Die Kraft einer dicht gedrängten Menschengruppe, die sich kaum halten lässt. Entfesseln muss sie allein einer, der genau das kann: James Sutherland, in seiner schlichten Art und Genialität irgendwie eine Profilpause dessen, den er nun Bild für Bild rasant, körpernah, in harter Rhythmik und weich gleitend, in opernszenischem Buntlicht oder vorzugsweise schwarz-weiß-silbern graphisch zeichnet – nein: aufleben lässt.
Dem in Cottbus schon vertrauten großartigen Tanzregisseur, der sich, zusammen mit Dramaturgin Eva Wagner, auch selbst dieses Libretto schuf, stehen dabei mit Davidson Jaconello ein vom Tanz kommender Composer für das Sound Design und mit Claus Stump ein mutig zu Nacktheit und harten Kontrasten greifender Bühnen- und Kostümbildner für dieses einzigartige Gesamtkunstwerk zur Verfügung. Die Hits von Queen hat Jaconello an eine speziell für diese Inszenierung geschaffene Auftragskomposition gebunden und scheut nicht die phonstark-schmerznahe Unbändigkeit akustischer Kraft, die Irdisches zu sprengen scheint.
Vor allem aber faszinieren die Tänzerinnen und Tänzer mit ihrer Ausdruckskraft, mit akrobatisch-geschmeidigen Figuren in allerhöchstem Tempo, sauber und schön in jedem Moment. Welche Poesie steckt in ihrem sich Geben und Lassen und endlich aus Zweien Verschmelzen zu Einem! Hervorzuheben sind in ihren Führungsrollen der Italiener Alyosa Forlini, der nach einigen Jahren am Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin seit der Spielzeit 2019/20 zur Cottbuser Companie gehört, und der aus Australien stammende Grünebaum-Preisträger Stefan Kulhawec, jetzt in seiner elften Cottbuser Spielzeit zu höchster darstellerischer Perfektion auflaufend. Weiter tanzen Alessandra Armorina, Davide Degano, Kate Farley sowie die bundeskulturell geförderten „Neustarter“ Clara Dufay, Alessandro Giachetti und Nyla Tollasepp.
Das Ballett „Freddie“ erzählt in fünf Bildern von der Lust, den Sehnsüchten, den Erfolgen, den Ausbrüchen, dem Frust und der Tragik der unvergessenen Pop-Ikone. Mercury lebte am Schluss exzessiv, suchte weltweit die prominentesten Schwulenclubs und war einer der ersten Stars, deren HIV-Tod die Öffentlichkeit zutiefst erschütterte. Die große Wertschätzung für ihn, den ewig Suchenden, brach nie ab, und es ist höchst berührend in diesem Ballett, wie verinnerlicht und inspiriert diese großartigen Künstler scheinbar ihre ganz eigenen Geschichten tanzen.
James Sutherland und seinem Team glückte mit diesem Werk ein ganz großer Wurf, der dem steilen Aufstieg der Companie unter Ballettdirektor Dirk Neumann einen zeitgemäßen Höhepunkt setzt. Nach einer knappen atemberaubenden Stunde entsprach der Beifall dem Erlebten; das Publikum fühlte sich von den Stühlen gerissen und applaudierte stehend und bis zur Sprachlosigkeit begeistert.
„Freddie“ wird in dieser Spielzeit noch dreimal getanzt, ist aber zu allen Terminen ausverkauft. Das Ballett wird in der Spielzeit 2023/24 im Spielplan bleiben und geht dann auch auf Gastspiele nach Senftenberg, Frankfurt und Potsdam. J. Heinrich
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