Reisebericht: Über den Äquator

Szenenwechsel: Krieg und Krise machen den Deutschen Angst, titelt die üblicherweise gut informierte WELT AM SONNTAG.
Reisen kann helfen, dem Druck wenigstens zeitweilig zu entkommen. Zu vielen Orten sind die Wege noch frei.
Folgen Sie uns in Städte, Wüsten und auf das weite Meer… – V

Von Petra und Jürgen HEINRICH

Das Meer
Das Meer trägt und umgibt uns seit Tagen. Es hat Menschen seit eh und je fasziniert, auch uns. „Das Meer ist keine Landschaft, es ist das Erlebnis der Ewigkeit“, schrieb Thomas Mann, und Jules Verne nannte es „die lebende Unendlichkeit“. Wie wahr.

Von der Südspitze Afrikas, zur Küste Namibias, dann zur einsamen Insel St. Helena und immer weiter nordwestwärts führte unsere Seereise.

Von der Insel, auf der Napoleon seine letzten Lebensjahre verbrachte, halten wir nun Kurs auf die Kapverdischen Inseln. 2.123 liegen vor uns, das sind knapp 4.000 Kilometer. Das Glück und die südliche Sonne sind mit uns auf der südlichen Halbkugel. Luft 33 Grad, Wasser 34 Grad, meldet der Morgenfunk, und manchmal liegen unvorstellbare 10.000 Meter Wasser unterm Kiel. Unterwegs überqueren wir jene (gedachte) Linie, auf der der Mensch der Sonne am nächsten ist und die unsere nördliche mit der südlichen Hemisphäre verbindet: den Äquator. Seefahrer kennen die große Stille, die hier üblicherweise zwischen den Wettersystemen der Halbkugeln herrscht, und vielleicht hat sich auch deshalb der Brauch eingebürgert, die Überquerung der genau 40.000 Kilometer langen „Naht der Welt“ mit allerlei Ulk zu verbinden. Wer (im Pool) ein „Äquatorseil“ untertaucht, hernach etwas Hochprozentiges trinkt und salzigen Fisch verschlingt, bekommt vom Käpt’n den Äquatortaufschein. Kaum einer lässt sich den entgehen, und weil’s so schön ist, musiziert die Bordband noch lange bis in die milde Nacht.

Santiago
Vor uns liegt Santiago, die größte der kapverdischen Inseln. Die Gipfel der Berge sind am Morgen noch von dicken Wolken eingehüllt. Der Ort vorn an der Südküste heißt Praia und ist mit 140 000 Einwohnern Hauptstadt der seit 1975 selbständigen Kapverden

Nun sind wir also auf unserer nördlichen Halbkugel angelangt, und das Wasser im Waschbecken strudelt jetzt gegen den Uhrzeigersinn. Wer den Äquator auf dem Festland überquert, etwa in Ecuador in Südamerika, erlebt noch andere Phänomene „auf der Erdnaht“, etwa dass ein Ei aufrecht auf einer Nagelspitze stehen kann. Wir geben uns weiter dem Erlebnis Ewigkeit hin und machen uns, zumindest theoretisch, mit dem Phänomen der Passatwinde vertraut. Die sind jetzt kaum zu spüren. Wenn sie wehen, angetrieben von der tropischen Sonne und der Erdrotation, tun sie’s immer von Ost nach West. Auf unserer nördlichen Erdhälfte kommen sie von Norden und schwenken kurz vorm Äquator Richtung Amerika ab, auf der Südhälfte wehen sie nordwärts und biegen dann nach Westen ab. Dieses Schwenken aus beiden Richtungen passiert genau dort, wo wir jetzt hinwollen. Zwischen den lose im Ozean verteilten Kapverdischen Inseln liegt die „Windschere“. Das hatten die frühesten Seefahrer schon bald erkannt, und so konnten die Portugiesen die Eilande im weiten Blau des Zentralatlantiks fast zwangsläufig entdecken.

Äquator
Das Seil stellt den Äquator dar. Kein Problem, unter ihm durch zu tauchen und sich anschließend um den kostbaren Äquatortaufschein zu bewerben

Perlen des Atlantiks“ werden die neun bewohnten Inseln, ergänzt um einige winzige Eilande, gern genannt. Trotz ihrer spektakulären, für Bergwanderer faszinierenden Natur sind sie wegen der entfernten Lage aber nur wenig bekannt und besucht. Nur die östlichen, noch von der 600 Kilometer entfernten Sahara geprägten Sandinseln sind schon vom Badetourismus erschlossen.
Die westlich gelegenen größeren Inseln verbergen zwischen hoch aufragenden Felsspitzen in tiefen Tälern zum Teil üppige subtropische Vegetation mit Bananenplantagen und intensiver, größtenteils noch auf Terrassen gepflegter Landwirtschaft. Der höchste Gipfel, der Pico do Fogo, erhebt sich bis auf 2.829 Meter und ist noch vulkanisch aktiv.

Bordband „Live!Style“
Zur obligatorischen Äquatortaufe gibt es Musik und Spaß, hier mit der frischen Bordband „Live!Style“

Das hat die ersten Entdecker 1445 aus Portugal nicht abgeschreckt und sie haben als versierte Seefahrer auch bald den Vorteil dieser Lage herausgefunden, nämlich die Aufteilung in die dem Wind zugewandte Nordgruppe der Inseln (im luv), der Ilhas do Barlavento, und der südlichen Ilhas do Sotavento im lee, also windabgewandt. Diese natürliche Konstellation wurde in der Zeit der großen Seegler über Jahrhunderte zur Wirtschaftsbasis der fernen Inselgruppe im portugiesischen Besitz. Immer im günstigen Wind konnten Waren aus Europa gebracht und auf halben Wege von Afrikas Küste Sklaven zugeladen werden. Die westlichen Inseln wurden zu ausgeprägten transatlantischen Handelsplätzen für Sklaven, die dann in eben diesem günstigen Wind westwärts nach Amerika verschifft wurden, von wo die Transportschiffe nun, weiter in günstigstem Wind, Baumwolle und andere begehrte Waren nach Portugal und zum europäischen Markt brachten.

Praia
Blick in die Bucht mit der Cidade Velha, der „alten Stadt“ von Praia, wo einst die Entdecker und ersten Siedler anlandeten.

Jener rege Verkehr zwischen den Kontinenten hat auch die heute gut ablesbare kapverdische Besiedlung bewirkt. Durch Einflüsse aus Europa, Afrika und Brasilien entwickelte sich hier eine einzigartige kulturelle Identität. Uns begegnen unaufdringlich-herzliche Gastfreundschaft, kreolische Lebensfreude und leider auch weit verbreitete Armut. In den schnurgeraden Straßen, die, von schattenspendenden Bäumen gesäumt zum zentralen Platz führen, sitzen schick gekleidete Frauen, in ihre Handys vertieft, auf den Treppenstufen maroder Kolonialbauten. Nebenan der Gemüse-, und Fischmarkt floriert noch gegen Mittag. In der Stadtmitte umrahmt moderne Architektur einen menschenleeren Vorzeigeplatz. Daneben Gardesoldaten vorm Präsidentenpalast. Wir spüren das Mühen um ein besseres Leben und werden doch noch manche Zeugnisse einer langen Periode von Ausbeutung, Sklaverei und Hungersnöten entdecken. Wir haben dafür einen Jeep gebucht.

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