Szenenwechsel: Krieg und Krise machen den Deutschen Angst, titelt die üblicherweise gut informierte WELT AM SONNTAG.
Reisen kann helfen, dem Druck wenigstens zeitweilig zu entkommen. Zu vielen Orten sind die Wege noch frei.
Folgen Sie uns in Städte, Wüsten und auf das weite Meer… – VII
Von Petra und Jürgen HEINRICH
Traumstrände mit puderweichem (aus der Sahara importiertem) Sand, dazu die perfekteste touristische Infrastruktur – so kennen und lieben viele Deutsche die Urlaubsinsel.

Alexander von Humboldt sah sie ganz anders. Am heute bekanntesten Aussichtspunkt mit Blick hinüber zur Küste von Puerta de la Cruz und hinauf zum Pico del Teide, mit 3718 Metern höchster Berg Spaniens, soll der Naturforscher anno 1799 auf die Knie gefallen sein und gerufen haben: „Ich habe nirgendwo ein Bild gesehen, das mich so tief berührt hat.“ Das entspricht seiner Mentalität; der Platz trägt nun seinen Namen: Mirador de Humboldt. Wir befinden uns über dem Orotava-Tal auf bestem Wege in den „wilden Nordwesten“ der Insel, dort wo die Gezeiten direkt vom tosenden Meer bis hinauf in die wolkenverhangenen Berge tiefe Schluchten und damit eine einzigartige Landschaft geschaffen haben. Lange glaubte man auf dem Rest der Insel, die kaum zugängliche Gegend sei unbewohnt. Noch heute, nachdem in den 1980er Jahren eine Straße in engsten Serpentinen in Berghänge gelegt wurde, halten einige Siedler Fremde konsequent fern aus ihren Refugien.

Sie leben, wie sie es immer kannten, vom Feldbau auf den steilen Terrassen, in der Traidition ihrer Vorfahren und gottesfürchtig. Denn wenn es auch Nachkommen der Ureinwohner, der Guanchen, sein mögen, die es hier schon vor der Zeitenrechnung gab – missioniert sind sie seit der blutigen Eroberung der Insel im 15. Jahrhundert alle. Dafür sprechen kleine Feldsteinkirchen in den Bergen und riesige Klosteranlagen und Kirchen in den Orten unten am Strand, wo sich die Wanderer treffen, die das spektakuläre Gebirge unter die Füße nehmen wollen. Humboldts Ausruf dürfte sie motivieren, die tatsächlich zu hunderten mit Wanderstock anreisen, aber das Teno-Gebirge unterliegt zunehmend Naturschutzbestimmungen, und so ist der Wanderbetrieb auf die Wochenenden beschränkt und auch zahlenmäßig limitiert.

Wir schauen uns die Maisfelder und Bananenhaine an, respektieren die Reserviertheit der Bauern und erfreuen uns phantastischer Panoramen. Der Weg führt schließlich zurück zum Meer und hier in die kolonial geprägte Kleinstadt Garachico. Ihr Hafen hatte einst Weltruf. Von hier wurden die besten Produkte der Insel nach Europa und Übersee gebracht, auch der Sklavenhadel florierte. Das begehrteste Produkt aber war der köstliche „Malvasier“-Wein, den der Adel in England besonders schätzte und den auch der Dichter Shakespeare bevorzugte.

Die Glanzzeit des 16. und 17. Jahrhunderts endete abrupt, als am 5. Mai 1706 ein Lavastrom aus dem Vulkan Arenas Negras den kompletten
Hafen und einige Tage später auch die meisten Häuser des Ortes zerstörte. 320 Jahre später sitzt der Schock dieser Katastrophe noch tief in den Gemütern der Bevölkerung. Aller fünf Jahre finden Gedenkveranstaltungen statt. Um die Reste des ehemaligen Hafentores wächst ein üppiger Park mit Bananenstauden und wohl auch einem Kanarischen Drachenbaum, der hier als heilig gilt und über 1.000 Jahre alt werden kann. Prüfen lässt sich das kaum, weil er als Agavengewächs keine Jahresringe bildet.
Die Menschen in dieser herausfordernden Landschaft haben jedenfalls keinen Groll gegenüber den unruhigen Bergen, auf und in denen sie leben. Im Gegenteil. Die Gebiete um die weiterhin aktiven Vulkane sind unter besonderen Naturschutz gestellt und Beobachtungsstellen eingerichtet worden, die mit anderen Orten ähnlicher Aktivitäten gut vernetzt sind – Vulkanfreunde eben.
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