In malerischen Schwüngen türmt sich das Sedimentgestein /Felsen in blau und rosa.
Wir folgen der meist steilen, wilden Atlantikküste südwärts, treffen Fischer in einem diesen Riffen vorgelagerten Inseldorf und übernachten auf Felsen, unter denen die Brandung donnert und zehn Meter hohe Gischt aufschäumt. Bald sind wir von Anglern umringt, die hier gute Fänge haben. Doch entscheiden wir uns für sanftere Lagen, genießen touristischen Komfort in der überlaufenen Bilderbuchstadt Essaouira. Der Ort lebt von der Nähe Agadirs, das wir zügig durchqueren. Die Großstadt ist nach dem verheerenden Erdbeben von 1960 völlig neu und schön gebaut. Touristenflieger kommen hier an, entlassen ihre Fracht zu Wüstenausflügen in Bussen oder Jeeps. Unweit gibt es den Nationalpark Sous Massa, wo wir uns durch sperriges Gesträuch an Flamingos und Löffler pirschen. Es ist einer der wenigen wasserführenden Flüsse im Land und daher auch Station durchziehender Zugvögel. Ein weiteres Naturwunder zieht uns zurück zum Ozean: Das Felstor von Legzira. Jeder Marokkaner weiß davon, und wer nicht nach Mekka pilgert, fährt wenigstens bis hierhin. „Marabous“, Mausoleen anbetungswürdiger Heiliger, gibt es unterwegs zur Genüge. Wir finden den eines Weisen aus dem 16. Jahrhundert, der mit seinen Söhnen begraben ist, die weltberühmte Dompteure waren. Der Bau hat die Würde einer Moschee, ist nur für Muslime zugänglich, aber der Wächter gestattet uns freundlich von der Tür aus Einblick. Überall im Land begegnet uns diese unaufdringlich-ehrliche Freundlichkeit. Auch am Felstor, wo uns am Strand Omlett in einer Tajine gereicht wird, dem hier typischen Kochgeschirr, das funktional unserem fast vergessenen Römertopf ähnelt. Ins unruhige Meer reichende Sedimentzungen, bestehend aus Sand und runden Kieselsteinen, sind hier zu Toren unterhöhlt. An zwei erinnern sich die Leute, aber nur eins existiert noch. Von dem zweiten zeugen eine gewaltige Abbruchfläche und etwas Geröll, das der Ozean noch nicht aufgeleckt hat. Für Marokkaner ist dieser Ort so bedeutend, wie die höchsten Sanddünen der Sahara, die uns noch bevorstehen. Immerhin erreichen wir mit der Koordinate N 28o58’06’ bei Guelmim den südlichsten Punkt unserer Tour und passieren das „Tor zur Sahara“ (eins von vielen, die es in der Gegend gibt). Wir schauen uns noch die schönen kleinen Städte am Wüstenrand an, buchen auch mal eine Kalesche (Kutsche), um durch die Medina (Altstadt) und die ebenso ummauerte Kashba (Stadtteil des lokalen Fürsten) zu streifen, die Herstellung des kostbaren Arganöls aus den Früchten der Arganien-Bäume kennenzulernen und die würzigen Düfte der turbulenten Suks in uns aufzunehmen. Tag um Tag kommen wir jetzt ein Stückchen mehr im wirklichen Marokko an. Vorher hatten wir auf einsamer Straße in extrem engen, nur im Schritt passierbaren Serpentinen den Antiatlas überwunden, ein Gebirge,
dessen steinerne Schönheit kaum zu übertreffen ist. Die Sedimente sind in schwingenden Bögen oder steilen Dreiecken an die Berge gezeichnet und geben in jedem Licht edle Panoramen. Kein einziges Fahrzeug begegnet uns zwischen den Zweitausendern. Wir atmen durch, als wir uns den Palmen der Oasen nähern und sehen schon gedanklich einen Fluss, aber alle Furten liegen trocken. Manchmal ist die Straße bedrohlich abgebrochen, aber wir kommen durch und entspannen uns in nun wechselnder Gesteinskulisse aus großen, kugeligen Granitfelsen bei Tafraoute. Wir
haben von dem belgischen Künstler Jean Verame gehört, einem marokkanischen „Christo“, der hier solches Gestein mit 20.000kg Farbe blau, altrosa und gelb angepinselt hat – eine heitere Konfrontation von Mensch und ursprünglichster Natur. Die Leuten der Berge schimpften anfangs, aber als die Farbe nach Jahren verblasste, pinselten sie alles eifrig nach. Heute findet kaum jemand zu diesen Bildnissen. Wir sind mutterselenallein unter klarem Sternenhimmel.
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