Die lange Geschichte Georgiens und in besonderer Weise auch der Hauptstadt Tbilisi (in Westeuropa auch Tiflis genannt) erreichte 1989/90 einen dramatischen Tiefpunkt, den wir Deutschen wegen unserer eigenen weitaus glücklicheren Turbulenzen kaum wahrnahmen. Während Gorbatschow sich im Westen feiern ließ und die Kontrolle über Glasnost und Perestroika verlor, kam es in Tbilisi zu Großdemonstrationen mit Toten und vielen Verletzten. Dissidenten wurden zu Regierenden und alsbald zu Gliedern korrupter Cliquen. Das Land versank in Dunkelheit ohne Strom, in Hunger und in nationalistischem Gezänk, das zu handfesten Kriegen führte. Bis heute sind Teile Georgiens russisch besetzt, und im Süden herrscht Angst vor den Türken. Die große Sehnsucht, die heute im Land nach Europa und einer EU-Mitgliedschaft herrscht und die 2018 durch Angela Merkels Besuch beflügelt wurde, nährt sich vor allem aus dem Wunsch nach Harmonie und dauerhaftem Frieden.
Georgien ist heute ein sicheres und attraktives Reiseland, in dem die Menschen gern ihre Schätze erhabener Geschichte, aber auch die postsowjetischen Errungenschaften zeigen.
Zu letzteren gehört neben Regierungspalästen nicht nur in Tiblisi die größte Kirche
Transkaukasiens, die Dreifaltigkeitskirche auf dem Elia Hügel. Sie ist 1996 bis 2004 im traditionellen georgischen Kathedralenstil erbaut und im Wesentlichen von Bidsina Iwa- nischwili finanziert worden. Der Mehrfach-Milliardär unterhält seine eigene futuristische Residenz am Hang gegenüber. Viele Georgier sind ihm dankbar; nicht wegen des Kirchenbaus, sondern als Stifter der politischen Bewegung „Georgischer Traum“. Nachdem Eduard Schewardnadse und nach ihm Saakaschwili, jeweils nach Anfangserfolgen, im Präsiden- tenamt scheiterten und in Ungnade fielen, wurde Iwanischwili (67) selbst Premierminister. Jetzt führt die georgisch-französische Politikerin Salome Surabischwili das Land. Sie handle zu zögerlich, finden viel Georgier, die ihre Annäherung an Russland skeptisch sehen.
„Unseren Eltern ging es in sowjetischer Zeit gut“, erzählen viel Georgier, denn die Leute hatten Arbeit und soziale Sicherheit. „Freiheit“ bleibt für so manchen bei geringem Einkommen ein leeres Wort. Die Georgier waren nie in gleichem Maße eingeengt wie Bürger anderer Sowjetrepubliken. Ihr Stolz, ihre gehobene Lebenskultur und ihre Religiosität, ganz gleich welcher Glaubensrichtung, gaben ihnen immer Halt. Nie sind in Georgien Juden unterdrückt worden, das Christentum fasste hier schon im 4. Jahrhundert Fuß und in einigen Gegenden werden Kopftücher getragen und vom Minarett schallt aus Lautsprechern der Ruf des Muezzins.
Von all ihren Ärgernissen der letzten Jahrzehnte erzählen die Georgier offen und mit gewisser Selbstironie. Das wirkt sympathisch. Ungebrochen und geradezu überbordend ist die Gastfreundschaft des Landes, in das übrigens vergangenes Jahr auch wieder 20 000 Russen als Touristen kamen. Die Moskauer und Petersburger haben sich immer gern im mediterranen Süden erholt. Wer individuell reist, wird schnell in eine „Supra“, eine Gesellschaft am gedeckten Tisch geraten. Auf Vorspeisen aus Gemüsen, Kräutern, Gewürzen und Nüssen folgen „Chinkali“, das sind gefüllte Teigtaschen, oder „Chatschapuri“, die Teigfladen mit Käse, dann Fleisch vom Rind, Lamm oder Huhn mit herzhaften Saucen – das Ganze mit langen, klugen Trinksprüchen, wenn sich Kuhhörner mit Chacha, einer Art Grappa, füllen und das „Gaumardschos!“ – Zum Wohle! – erschallt.
Widmen wir uns also in Folge 3 dem georgischen Wein.
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