Vom Landschaftserlebnis der tiefen Schluchten, hohen Pässe und erstaunlichen Fossilien.
Die Stadt Rissani, deren prächtiges Eingangstor wir am Ende der letzten Folge durchfuhren, geht vielleicht auf die älteste Stadt Marokkos, das legendäre Sijilmassa zurück, dessen Ruinen wir nicht finden. Die Stadt soll im 12. Jahrhundert 100 000 Einwohner gezählt haben, reich geworden durch den Zug der Handelskarawanen. Aber was bedeutet schon alt im Tafilalet, dieser Oasengegend der Berber? Zwischen Rissani und dem erst in französischer Zeit nach 1916 gegründeten Erfoud haben Millionen Jahre alte Wesen ihren großen Auftritt. Überall an den Straßen werden Fossilien verkauft. Ansehnliche Steinschleifereien produzieren Tischplatten und allerlei Interieur voller schönster Fossilien. Der Straßenbau, der die Atlas-Vorberge tief durchschnitten hat, legte die Welt des Urmeeres frei, das sich vor einigen hundert Millionen Jahren hier ausbreitete, und danach waren in der Gegend auch Dinosaurier und noch später Elefanten, Giraffen und andere heute in der Mitte und im Süden Afrikas lebende Spezies unterwegs. Ein Museum bei Erfoud erzählt die ganze Zeitreise, und wer will, kann sich für wenige Diram die Taschen voll Fossilien packen. Danach steht uns nicht der Sinn; wir wollten Gemüse kaufen im Handelszentrum Rissani, doch am Gebetsfreitag und noch dazu im Ramadan liegt der Ort brach wie ausgefegt. Nur der Teppichhändler in der ältesten Kashba gleich neben dem Markt macht eine guten Job, führt durch die Häuser aus Lehm und ihre Geschichte und dann in seinen Basar der edelsten Berberteppiche. Ihren Lokalstolz beziehen die gastfreundlichen Einwohner von Rissani heute aus der Tatsache, dass hier der Gründer der aktuell regierenden Alaouiten-Dynastie geboren ist. In seinem prächtigen Mausoleum beten die Gläubigen, Nicht-Muslime dürfen sich des Gartens mit seinen edlen Arkaden erfreuen. Die Türen vom Garten zum Mausoleum stehen weit offen, aber ein Wächter achtet darauf, dass kein Ungläubiger die Ruhe stört. Ein würdevoller Ort. Wir entschließen uns von hier aus doch noch zu einem Abstecher zu den schönsten Dünen des Landes, zum Erg Chebbi. Die Straße führt vierspurig direkt bis Merzouga, Asphalt bis an die Dünenausläufer. Vorn stehen vor allem deutsche und Schweizer Mobile, hinten im Schutz der Palmen drängen sich Franzosen und Belgier. Es ist wieder Sturm angesagt, aber die noch ruhigen Stunden nutzen auch wir da vorn. Die kleinen Touristen-Karawanen
wandern fast über unseren Frühstücksteppich. Wir klettern nochmal die Sandberge hinauf und unser Airedale Hamzah genießt begeistert den Auslauf. Dann nehmen wir uns die berühmt-berüchtigten Schluchten im südwestlichen Hohen Atlas vor. Einige Wege sind als landschaftlich besonders reizvoll grün in der Karte markiert, manchmal fehlen die Verbindungen, aber wir glauben fest an das geschlossene Wegenetz und haben viel Freude damit. Die Flüsse Qued Ziz und Qued Rheris, jetzt überwiegend trocken wie auch ihre Zuflüsse, haben die Täler eingeschnitten, oft ohne dass die Felsen zurücktraten, und so entstanden hier die malerischsten Schluchten, an deren Grund die Feuchtigkeit für dichte Palmenoasen und oft auch für Feldbau ausreicht. Die Lehmdörfer schmiegen sich an die Berge, die Ortsstraßen sind einspurige und ausgefranste Asphaltreste, oft eng an und unter überhängenden Felsen liegend und mit scharfen Kehren in den Serpentinen. Wo irgendwie Platz ist, halten wir kurz an, um die Panoramen zu genießen, denn während der Fahrt gehört alle Aufmerksamkeit der Straße. Dort gibt es überraschend tiefe Löcher, immer wieder Ziegen- und Schafherden, manchmal schwer beladene Esel oder sogar Radfahrer und dann natürlich die Kinder! Sehen sie von weitem unser helles Fahrzeug kommen, bilden sie Straßensperren und wollen Süßigkeiten. Wir sind da
rauf eingerichtet, aber natürlich reichen die Vorräte nicht für alle; dann passieren wir im Schritt die Meute und winken nur. Es sind ja nicht bettelnde Kinder im klassischen Sinne, sondern einfach nur Lausbuben, die endlich mal was erleben wollen. Auf den Strecken, die wir fahren, sind selten Fremde unterwegs. Wir sind das Ereignis des Tages. Die vielen Kinder lenken sich sonst mit dem Fahrrad, falls sie eins haben, oder mit dem Fußball ab. Jedes Dorf hat mindestens einen kleinen Fußballplatz; wo die Wüste besonders karg ist, oft sogar mit Kleinfeld-Kunstrasen. Wir genießen die Einsamkeit, wissend, dass wir uns der touristischsten aller Schluchten bald von der Rückseite nähern. Vorn stehen dann schon die Busse.
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