Auch abgelegene Dörfer sind inzwischen an die allgemeine Versorgung angeschlossen.
Das Abenteuer der drei Atlas-Schluchten liegt hinter, das erstaunlichste Spiel gigantischer Felskörper vor uns: die Todraschlucht. Ein Flüsschen aus dem Hohen Atlas hat hier erstaunliche Erosionsarbeit geleistet und plätschert nun ganz harmlos zwischen 300 Meter hohem Gestein, das an der engsten Stelle bis auf zehn Meter zueinander kommt. Diese Naturlaune gilt als einer der reizvollsten Fleckchen ganz Marokkos, und wir haben Glück, an einem Sonntagmorgen hier zu bummeln, ehe sich die Menschenmassen aus unzähligen Bussen, die von der breit asphaltierten Gegenseite her anrollen, in den Schlund ergießen. Dort, wo ein Seitenquell ins Tal sprudelt, füllen Einheimische klares Trinkwasser in große Plastikflaschen, während die Händler grellbunte Jacken, T-Shirts, Schals und Berberteppiche jeder Größe fürs kauflustige Publikum drapieren. Selbst sind sie in dicke Mäntel gehüllt, denn es ist empfindlich kühl und zugig an ihrem Arbeitsplatz, dem wir bald adé sagen.
Wir folgen, nun wieder ungestört, dem Todratal, passieren die grauen Lehmdörfer, oft mit mächtigen Kasbas, in denen viele Familien wohnen. Wo die Feuchtigkeit ausreicht, sind die Felder gut bestellt, liefern Getreide und Tierfutter. Immer wieder verengen sich Felswände und wir klettern aufwärts zum Tizi-Tizherhozine, einem Pass bei 2 706 Metern, erreichen schließlich das einsame, nur im September richtig belebte Imilchil. Das Städtchen wurde für sein Heiratsgeschäft landesweit berühmt. Wer unter die Haube will (Frauen, vor allem geschiedene oder verwitwete, wollen das in größerer Zahl) wird, wenn sich hier im Wallfahrtsfest ein Partner findet, unverzüglich vor Ort ganz amtlich vermählt. Feiern kann das Paar dann daheim. Tausende zieht es zum Heiratsfest nach Imilchil, natürlich überwiegend Schaulustige. Ein Mann, der uns auf seinem Maulesel einholt, gibt uns den Tipp, dass der nahe See dann ein Hauptort des Feierns ist. Denn dieser und ein zweiter Bergsee sind aus Tränen entstanden, weil zwei Liebende, aus welchem Grund auch immer, nicht zueinander durften. Die Imilchiler wollen altes Unrecht nun tausendfach Jahr um Jahr gutmachen.
Wir genießen die Einsamkeit am Lac de Tislit, dem blauen Bergsee. Nur ein Hirte zieht vorbei mitseinen Schafen und schwarzen Ziegen, die das harte Kraut knabbern.
Überall, auch hier, ist Marokko ein Land heftiger Kontraste. In den Schluchten staut sich ein neuer See, an dessen steilen Ufern Luxushotels entstanden sind, mit allem denkbaren Komfort. Wir erkunden die Landschaft im Umfeld und finden Wohnstätten, tief in Hänge gegraben, um lose gesetzte Mauern aus Felsbrocken ergänzt, mit Holz und Erde flach bedeckt. Kletterpfade wie für Ziegen sind auch die Menschenwege. Der Mann zeigt uns seinen „Hof“, aber fotografiert werden mag er nicht. Frau und Kinder holen sich Geschenke an unserem Auto ab. Wir wundern uns, wie sauber sie sich in all dem Staub halten können. Wasser wird diesen Siedlern neuerdings per Lkw in Plastik-Kanistern gebracht. Sie mussten es früher von
weither schleppen. Wenigstens das hat sich verbessert, seit es in fast alle Gegenden befahrbare Straßen gibt. Die sind oft kaum befestigt, aber sicher und manchmal gut für eine Rast an idyllischem Platz. So einsam es da erscheinen mag – schon nach wenigen Minuten kommen Neugierige aus irgendeinem versteckten Dorf, winken uns vergnügt zu. Meist interessieren sie sich weniger für uns als für unseren Terrier Hamzah. Und dann erleben wir wieder einen Kontrast: In heißer Felstrockenheit plötzlich dieser Wasserfall! In Kaskaden rauscht er in eine gut 100 Meter tiefe Grotte. Besucher steigen hunderte Stufen hinab zwischen jeder Menge Souvenirhändlern und Feigensträuchern, in denen Berberaffen klettern und Kekse klauen. Unten im See fahren Boote, und überall sind Sitzplätze, um bei Mint-Tee oder Kaffee das Schauspiel zu genießen.
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