Szenenwechsel: Krieg und Krise machen den Deutschen Angst, titelt die üblicherweise gut informierte WELT AM SONNTAG.
Reisen kann helfen, dem Druck wenigstens zeitweilig zu entkommen. Zu vielen Orten sind die Wege noch frei.
Folgen Sie uns in Städte, Wüsten und auf das weite Meer… – IV
Von Petra und Jürgen HEINRICH

Sie liegt mitten im weiten Ozean, 1859 Kilometer von Afrikas Küste und von jeglicher Nachbarinsel oder amerikanischem Festland noch weiter entfernt – die aus einem Vulkan entstandene Insel St. Helena, die ein Portugiese 1502 zufällig fand und nach der Heiligen benannte. Später kamen Engländer und blieben. Etwa 4.400 sind es aktuell; in der Hauptstadt Jamestown leben etwa 600. Man sagt, St. Helena sei die einsamste bewohnte Insel der Welt. Was von Weitem graubraun und schroff aus dem Meeresblau aufsteigt, erweist sich aus der Nähe als grünes Eiland, das sich touristisch als Freiluft-Fitness-Platz zu vermarkten sucht.


Einen richtigen Hafen gibt es nicht (auch keine Passkontrolle); man tendert zum Land und steht gleich an der Jakobsleiter, deren 699 Stufen zum Aussichtspunkt führen. Dies sei eines von „sieben Wundern der Insel“. In einem weiteren „Wunder“ halten die braven Bürger gerade Sonntagsgottesdienst. Die St.-James-Kirche stand hier schon 40 Jahre, als Napoleon in Paris als Kaiser abdankte, nach Elba geschickt wurde, von dort, während in Wien der Kongress tanzte, mit neuem Heer gen Waterloo zog. Dort scheiterte er und wurde nun unfreiwillig St. Helenas berühmtester Einwohner. Er kam nicht allein in dieses Exil, sondern führte einen „kleinen Hofstaat“ mit sich, so dass die Einwohnerzahl der Insel sprunghaft auf etwa 8.000 anstieg. Wo sich des Kaisers Spuren finden, weht heute auf der englischen Insel die französische Flagge. Die Franzosen haben die historischen Orte gekauft, und in Bonapartes Residenz, dem Longwood House, wohnt jetzt der französische Konsul. In den übrigen Räumen befindet sich ein gepflegtes Museum mit den Möbeln des Kaisers, seinem Sterbebett, der Bahre, auf der man ihn betrauerte, und mit vielen Dokumenten. Auch ein Museumsshop fehlt nicht.

Napoleon hielt es fast sechs Jahre auf St. Helena aus. Er starb mit noch nicht einmal 52 Jahren am 5. Mai 1821 an Magenkrebs und wurde in einem würdigen Grab beigesetzt. Die Grabstätte, obwohl längst leer, wird noch immer als historischer Ort gepflegt. Ihren Kaiser holten die Franzosen 1840 heim. Die Gebeine befinden sich jetzt in einem gewaltigen Sarkophag im Pariser Invalidendom.

In Jamestown und den anderen lockeren Ortslagen der steilen Berglandschaft wurde es ruhiger nach Napoleons Rückzug. Die meisten Einwohner leben seit Generationen hier und fühlen sich wohl. Nur vier- oder fünfmal im Jahr kommt ein Touristenschiff vorbei, sonst ist man unter sich, braucht Türen nicht abschließen und hat auch keinen öffentlichen Nahverkehr. Die meisten Leute haben ein Auto. Wer nicht, bittet den Nachbarn, wenn eine Fahrt nötig ist.

Die Häuser der Stadt sind intakt und schmucklos, umso mehr Liebe verwenden die Leute auf den blumenreichen Schlosspark, ein Restbestand der East India Company. Oben in den Bergen gibt es Rinderweiden, Waldgebiete und schöne Landhäuser. Zur Residenz der Gouverneurs, einem stattlichen Haus im georgianischen Stil von 1792, gehört ein großer Garten. Darin tummelt sich mit Artgenossen St. Helenas ältester Einwohner: Jonathan, die Riesenschildkröte ist blind aber sehr mobil und 193 Jahre alt. Es hat wohl etwas für sich, so ungestört zu wohnen.

Für die Einwohner war das nicht immer einfach. Bis 1970 gab es eine Schiffsline nach hier, die dann aber Pleite ging. Bis 1990 blieb St. Helena ganz von der Welt abgeschnitten. Danach wurde von Südafrika der Fährbetrieb mit der Möglichkeit der Personenbeförderung aufgenommen.
Schon in den 1940er Jahren gab es Pläne für eine Flugverbindung, aber das ließ die Topografie nicht zu. Die Vulkaninsel bietet keine geeignete Ebene. Mit einem Aufwand von 327 Millionen Euro ist nun doch ein Flugplatz gebaut worden, wozu Unmengen Gestein umgeschichtet werden mussten. Seit 2017 gibt es eine Landepiste, aber keine Fluggesellschaft zeigte Interesse. Inzwischen befördert eine kleine Linie von Kapstadt über Windhoek 2000 Passagiere im Jahr. Romantischer bleibt es, die einsamste Insel per Schiff zu erreichen.
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