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Von Petra und Jürgen HEINRICH

Von der größeren südlichen Insel Santiago begeben wir uns zu einem Wunder der Inselwelten: Santo Antao.

Die Bilder der Altstadt von Santiago, jenem verträumten Praias auf dem Felsplateau außerhalb der heutigen Hauptstadt mit der uralten Kirche und dem von einem christlichen Kreuz bekrönten Sklavenpranger in der Mitte des Marktes noch lange in Erinnerung, bereiten wir uns gedanklich auf Santo Antao vor. Insel der Berge, des Wassers oder der Winde wird dieser 779 Quadratkilometer große Archipel (ca. die Hälfte unseres Spree-Neiße-Kreises) ganz im Norden Kapverdens genannt. Doch er ist mehr: er ist eine Sensation, die vielleicht überraschendste Insel weltweit.

Zunächst begegnen wir schon im noch kargen, eigentlich trostlosen Süden dem Werk der Sklaven: Perfekt gepflasterte Straßen liegen vor uns, erstrecken sich, oft von spektakulären Stützmauern getragen, über hunderte Kilometer verzweigt bis in die höchsten Pässe und fast auch heran an den bunten Ort Fontainhas, seit 2024 offiziell kapverdisches Kultur- und Naturerbe. Nur 80 Menschen leben hier, bearbeiten die Terrassenfelder und locken zunehmend Touristen. Denn National Graphics hat das Dorf nicht nur als eines des malerischsten weltweit gepriesen, sondern auch in die Liste der zehn Orte mit den spektakulärsten Aussichten aufgenommen.

Wer sich geduldet, den Winden und Wolken ihr Spiel lässt, wird immer wieder mit atemberaubenden Aussichten belohnt hier im grünen Inselnorden. Üppiges, blühendes Gesträuch bedeckt steile Hänge, und im Minutenwechsel öffnet sich wie von Geisterhand der weißgraue Nebelvorhang und gibt den Blick frei in ein sonniges, fast kreisrundes Tal – der fruchtbare Boden eines Kraters, aufgeteilt in viele Felder, auf denen gerade die Frühjahrsbestellung beginnt. Vom nächsten Pass blicken wir in ein langgestrecktes Tal voller Grün mit eingesprenkelten Wohnplätzen.

Es sind keine Dörfer in unserem Sinne, sondern Streusiedlungen, nahe bei den Terrassenfeldern oder im fruchtbaren Paul-Tal direkt am Fluss, in und an dem üppige Ernten reifen. Das Klima überrascht subtropisch, und während in den Höhenlagen Fichten- und Kiefernwälder Schatten geben, drängen sich an den Ribeiras, den Flußufern, Dattel- und Kokospalmen, Papaya-, Zitrus- und Mandelbäume, dunkelgrünblättrige Mango- und wuchtige Affenbrotbäume, Bananenstauden und zunehmend Eukalyptushölzer. Wilde Feigen und Drachenbäume säumen die Wege und auf schmalen Terrassenfeldern aus schwarzer Lavaerde werden Maniok, Mais, Ananas, Kaffee und Lavendel angebaut.

Das alles klingt wie ein Paradies, kostet die Menschen hier aber viel Kraft, denn die Bedingungen in den steilen Bergen und engen Schluchten sind herausfordernd. Etwa 50.000 Menschen leben in der Hauptstadt Porto Nove, Ponta do Soul und weiteren kleinen Orten. Die zeigen sich überall farbenfroh, gepflegt und zunehmend touristisch geeignet. Man übertrifft sich geradezu darin, es den Gästen so angenehm wie möglich zu machen. Im Fischerort Ponta do Sol eröffnete kürzlich gar ein „Schweinehotel“. Dort können die Tierhalter Buchten mieten, um im Ort keine Gerüche zu haben. Aber Lavendel und die jetzt blühenden Robinien tun ohnehin das Ihre.
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