FRANKREICH also. Mit dem Fußball hat das diese Woche im europäischen Halbfinale nicht ganz geklappt und politisch köchelt’s mal wieder. Aber nun lässt Olympia das Land erleuchten. Und ein traumhaftes Reisegebiet war und ist dieses Frankreich sowieso. Das wusste schon der junge (zu einem Viertel französische*) Graf Pückler vor gut 200 Jahren ganz genau. Auf einer Tour zwischen Lyon und Avignon in diesem Sommer hat JÜRGEN HEINRICH in Semilassos kurzweiligen „Jugend-Wanderungen“ geblättert. (I)
Nicht nur wegen Galliens Digedag-Helden liegt uns das heutige Frankreich nahe. Es hat (Wein-)Geist und vielerlei Reize. Das wusste auch Pückler, der schon wegen seines Adelsstandes französisch sprach und fühlte. Wir holten ihn nach flotter Busfahrt an den Ufern der Saone ein. Genau dort, in Lyon, beginnt der junge Graf aus Muskau 1808 seine Jugendwanderung, die er 1834 als Buchmanuskript niederschrieb. Allerdings: „Obgleich uns noch manches in Lyon zu sehen übrig blieb, so glaubten wir doch es unsern geringen Mitteln schuldig zu seyn, von einer Gelegenheit zu profitieren … auf einem Schiff … für sehr wohlfeilen Preis bis Avignon (zu) gelangen….“ So entkamen er und sein fast gleichaltriger, gleichfalls vor Kurzem dem Militär entsagter Freund Alexander von Wulffen der engen, verschlafenen dunklen Stadt, in der sich Fremde „den Kopf an den Häusern einstoßen und hungrig zu Bett gehen“ müssen. „Überhaupt scheint in Lyon aller Luxus mehr in das Innere der Häuser, hinter verschlossene Thüren verbannt zu seyn…“, klagt der Wanderer. Gut beobachtet!
Die Lyoner haben ihre karge Enge heute zur Tugend gemacht. Dies zu finden, bedarf es einheimischer Führung, denn den Türen, die zu den Traboules (Durchgängen) durch ganze Wohnquartiere führen, ist ihre öffentliche Rolle nicht anzusehen. Die Lyoner haben für diese Eigenart gar ein Verb erfunden: Sie „traboulieren“ durch die Altstadt. Die Höfe und Treppenaufgänge sind sehenswert, und geduldig lassen Bewohner, die ihre Blumen gießen oder das Hundchen Gassi bringen, die Touristenströme passieren. Die Enge erklärt sich aus der natürlichen Lage der 2000jährigen Stadt. Von oben, wo auf dem Berg neben dem „kleinen Eiffelturm“ ein monströses Notre Dame steht (beides um 1900 erbaut), sind Saone und Rgone kurz vor ihrem Zusammenfluss zu sehen. Dazwischen klemmt die alte Stadt auf einer Art Halbinsel. Deren Spitze und auch das Land gegenüber, wurden inzwischen Bauland, und wer den Wasserweg nimmt, darf über gewagte modernste Architektur staunen, darunter ein bizarres naturkundliches Monstrum, das an Bilbaos Guggenheim-Kunstpalast erinnert.
Doch wir wollen die Sache nicht wie seinerzeit der junge Pückler überstürzen und widmen uns wenigstens noch der prächtigen Kathedrale unweit vom säulenreichen Justizpalast. Die ist dem Heiligen Johannes gewidmet und schon im 12. Jahrhundert unter Verwendung von Steinen des römischen Forums erbaut. Diese Art der Materialbeschaf- fung begegnet uns immer wieder im alten Gallien. Das Innere der Kirche überzeugt in edler Formensprache der Gotik. Außen bewundern Touristen die astronomische Uhr, und gegenüber dem Portal gibt es eine schöne Figurengruppe der Täuferszene. Ein Stück weiter jenseits der Brücke erstreckt sich der riesige Platz mit einer Reiterstatue Ludwigs XIV.
Lyon, soviel bleibt gewiss, hat heute viel mehr zu bieten, als Pückler einst im Halbdunkel ahnen mochte. Bei „hundert Kanonieren“ hocken die beiden „auf einer leeren Tonne (an Deck), ohne mehr als hier
und da ein einsam brennendes Lämpchen zu entdecken.“ Bleiben wir also an Deck. Pückler notiert; „An der plötzlichen Schnelligkeit, mit der das Schiff zu gehen anfing, bemerkten wir, daß wir die Saone verlassen hatten und in die Rhone eingelaufen waren.“ Diese Reise auf Saone und Rhone wird von den heutigen Flussschiffen gern angeboten und bietet alle Reize des Burgund und der Provence bis hinunter zum Mittelmeer. Schwierige Stromabschnitte sind längst durch hydraulisch gesteuerte Schleusen leicht passierbar. Am Zusammenfluss der Ströme bleiben die Wasser noch lange getrennt erkennbar – die klare, liebliche Saone und die graue Rohne, die Unmengen tönernen Schlamm aus den Bergen talwärts trägt.
„Der reißende Strom führte uns bald bei Vienne vorüber“, aber das Schiff hielt „in einer angenehmen Lage am Ufer des Flusses“ nicht an, brennende Sonne macht Kopfweh. „Kaum warf ich einen flüchtigen Blick auf die mit Reben bedeckten Ufer, die den köstlichen Wein von Cote rotie und Hermitage uns liefern.
Auffallend waren mir dennoch die Menge Ruinen und zerstörten Flecken, bei denen wir unaufhörlich vorbeikamen; einige waren ehrwürdige Überreste des Alterthums und der Ritterzeit, die meisten aber nur traurige Zeugen der Verwüstungen der Revolution.“ Die lag ja damals nur zwei Jahrzehnte zurück.
Zur Unterhaltung seiner Leserschaft liefert Pückler noch mancherlei Unbilden der Reise, die ihn, während Wulffen saftige Pfirsiche beschaffte, „krank im Schiff“ zurückließen. „Diese Entbehrung empfand ich umso schmerzlicher, da das Schloss meiner Mutter, die in diesem Augenblick zwar nicht in Frankreich lebte, nur eine Stunde von Valence entfernt ist, und ich es nie gesehen habe.“
Die Fahrt auf der Rohne, zumal auf modernem Kreuzfahrtschiff, gerät zum Genuss. Auch Pückler liebte die sanfte Gegend. Sie „schmückte sich für jeden Augenblick mit veränderter Schönheit.“ Bei der vielbogigen Brücke wenige Stunden vor Avignon wurde dem Kahn jedoch der Wind zu stark. Die Herren setzen den Weg zu Fuß fort. Wir werden ihnen wieder begegnen…
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