Cottbus. Vorn werden abwechselnd lustvoll und schwermütig in typisch russischer Seelentiefe Konflikte ausgetragen, im Hintergrund duschen und duschen sich die Protagonisten, frottieren sich umständlich, und dann spielen die Frauen lange Szenen mit freiem Oberkörper. Seit der Premiere von „Anna Karenina“ in diesem Februar schmollt ein Teil des heimischen Publikums mit dieser Spielweise, und doch ist dem ausschließlich (!) weiblichen Regie- und Bühnenteam um Milena Michalek (Bühne: Charlotte Pistorius, Kostüm: Tutia Schaad, Musik: Yvi Philipp, Dramaturgie: Franziska Benack, sechs weitere Damen in Assistenz, Inspizienz bis hin zur Soufflage) ein ganz großer Wurf gelungen. Den Epoche-Roman des russischen Klassikers Lew Nikolajewitsch Tolstoi (1828-1910) haben sie in idealer Besetzung und bei seitenweiser wörtlicher Textübernahme aus Rosemarie Tietzes deutscher Fassung (welch gewaltiger Schnitter-Monolog des brillanten Manolo Berting als Lewin!) in fesselnder Dynamik vergegenwärtigt. Die Hoteldusche da hinten versucht das Altkleberische zu lösen, doch selbst intimste Offenheit vermag nicht Konflikte zwischen bäuerlicher Derbheit und aristokratischem Dünkel bis hin zu Karenins (ganz altadlig Gunnar Golkowski) Vergötterung der trockene Lehre zu überwinden, geschweigenden die Zeitklammer zu schließen. Johannes Scheidweilers triebhafter Wronski erobert die wagemutig suchende, am Ende isolierte Anna (hervorragend Charlotte Müller).
Wir sahen die Vorstellung am 6. April 2023 mit Sophie Bock als Dascha, Ariadne Pabst in der Hosenrolle des flattrigen Stiwa und Sarah Gailer als Kitty. Das Publikum folgte dem Geschehen gefesselt und raste zuletzt vor Begeisterung. Ein donnerndes Bravo allen! Hnr.
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