Kammerbühne Cottbus: Verblendet – entrückt. Netzige Gefühle

Anmerkungen zu Philipp Rosendahls Thriller-Inszenierung in der Kammerbühne.

 Szenenfoto „Verblendet“
„Verblendet“ – Szenenfoto mit Torben Appel und Nathalie Schörken. Foto: © Bernd Schönberger

Cottbus. Nichts sei, wie es zu sein scheint, heißt es zu diesem Stück. Noch bevor es beginnt, darf der Zuschauer sich in solchem Konflikt üben. Die aus offenen Käfigen bestehende Bühne (dies und die Kostüme Philipp Basener) scheint von wuselnden Menschen überfüllt. Doch da agiert keiner. Das Publikum selbst sieht sich in riesigen kokaven Spiegeln und entdeckt sich nach und nach. Verblendet?

Nun ja, so heißt ein Verwirrspiel, das Philipp Rosendahl fesselnd inzeniert hat. Gefühle verirren sich ins Netz der Informationsfülle, lassen Realität entschwirren. Verbissene Investigativ-Journaille wird Hefe für Verschwörungstheorien.
Erfunden hat diese krasse Story Lucy Kirkwood aus England. In Berlin, Wien und Kassel hatten ihre Stücke Deutschlandpremiere, nun dieses erstmals in Cottbus.

Premiere war schon im September. Das Interesse des Publikums ist berechtigterweise groß. Letzte Woche blieb in der Kammerbühne kein Stuhl frei. Oli (Torben Appel) und Jennifer (Nathalie Schörken) fanden sich zum Date, raffiniert gleichzeitig in life beiderseits des Handlungsplatzes so projiziert, dass jede Gesichtsregung des Einen und der Anderen immer genau zu sehen ist. Großartig die Beiden. Er der cool Verzögernde, sie die Zugewandte, aber im Sicherheitsbedüfnis Zaudernde.

Es ereignen sich Dinge, die dem Publikum in kaum lesbarer Leuchtschrift mit langen Texten erklärt werden. Oder auch nicht. Bestürzende Dinge, abseits von realen Wertbegriffen. Es gleitet ab ins Absurde und bleibt mit schrillen Behauptungen und Entstellungen doch immer spannend. Was vermögen sie, die doch ganz offensichtlichen Unwahrheiten?

Vor die Szene tritt, ganz vertrautem Alltag entlehnt, die Journalistin als Volks-Belehrer, nicht angerührt, aber eingenommen von solchem Stoff. Sigrun Fischer bewegt sich hier souverän, scheint mal aus der Rolle ins private zu stolpern, um dann in einer Begegnung mit einer über die Bühne tappenden „Zuschauerin“ zu „improvisieren“ . Oder ist das nicht? Ja, Lucie Luise Thiede in kurz-prägnanten Auftritten. Es entfaltet sich Witz im Netz-Spiel, zuletzt Bestürzung. Endet verlorene Identität im Suizid? Man weiß es nicht. Aber man fühlt mit. Ein gewonnener Abend. Es gibt jede Menge Beifall. Das Verblendete, Entrückte ist sehr zu empfehlen. J.H.

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