Goethes Faust in Freudscher Hand

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Anmerkungen zu Jo Fabians theatralischer Versuchsanordnung „Faust“

Faust
Nicht mehr Faust, sondern Mephisto auf dem Sockel – Szenenfoto mit Lara Feith (Gretchen), Axel Strothmann (Faust) und Boris Schwiebert (Mephisto) Foto: Marlies Kross

Cottbus. DEN Faust, ganz klassisch, bekommt man heute kaum noch geboten, nicht mal den „Urfaust“ für Schüler. Selbst Altmeister Christoph Schroth ging vor Jahren mit seiner Cottbuser Inszenierung deutlich auf Distanz zum  Dichterfürsten in Weimar. „Viel zu spießig, das Ganze“ sagen auch jetzt noch Schauspieler, die damals beteiligt waren. Nun also präsentiert uns Jo Fabian  seine Sicht zunächst auf Faust I. Den II. will er nach allen Einsichten niemandem zumuten, statt dessen demnächst eine Auseinandersetzung unter dem Titel „Antifaust“. Wer seine überaus spannende Version „Faust“ sah, wird gespannt bleiben.
Nein, es gibt nicht die Studierstube und den Pudel, aber doch sehr viel Text zum Mitsprechen (bitte leise und ohne zu gestikulieren!), was schon recht putzig war letzten Freitag. Aber auch zur Premiere am 30. November soll es vor allem Damen mitgerissen haben, wenn Faust den Osterspaziergang fast widerwillig aufsagt und durch Taubenschiss bestraft wird oder beim in die Stückmitte gelegten „Vorspiel auf dem Theater“, das ziemlich texttreu auf klassische Konflikte zwischen Autoren, Regisseur und Schauspieler verweist. „Genau!“ hallt es vom Damensessel vor mir, und das nicht nur einmal.
Glücklicherweise griff der Berliner Dramaturg Jan Kauenhowen derart in den Text ein, dass im Parkett nicht durchgehend mitdeklamiert wird. Das hätte er sowieso nicht erwartet, denn seiner Ansicht nach ist Goethes Text, trotz der Fülle an Zitierfähigem, „dunkel geblieben und wenig präsent“. Eine höchst subjektive Aussage. Der Mann hat als Fabians Wegbereiter kaum im „Faust“ gelesen, dafür die meterdicken Kommentare, die Jahr um Jahr zunehmen. Erhellend wirkt das niemals, nährt aber sonst brotlose Germanisten.
Fabian jedenfalls zeigt sich unbeeindruckt und führt vor, was ihn am Faust erregt, und das steht verlässlicher bei Sigmund Freud als bei Goethe. Schnell hat der Wissenschaftler auf seinem Sockel (Axel Schrothmann) im Kunstsalon von Venedig die Lust an Erkenntnis verloren und gibt sich der Putze zu seinen Füßen hin, dem schüchtern-frommen Gretchen (Lara Feith), wobei freilich der Mephisto des Boris Schwiebert im Gründgenskostüm und der Gangart des Glöckners von Notre Dame rollig nachhelfen muss.
Der hinreichend bekannte (also doch präsente) Verlauf der Dinge spielt sich durchweg im Ausstellungssalon ab, Szene für Szene übertitelt auf zwei Bildschirmen im Hintergrund (Bühne Pascale Arndtz), gelegentlich gestört durch Besucher und unterstützt durch Museumspersonal, das dem nun umschlungenen Paar Ketten anlegt, in die es sich im Sinnesrausch fesselt. Das lässt sich auf mancherlei Weise interpretieren, zieht sich aber viel zu lange hin, und dass beide, nachdem sie doch im Akt vereint waren, im Museum getrennt duschen gehen, wonach Faust nackt im Salon rumsteht, erregt den dummen Verdacht der Effekthascherei. Es bleibt hier einfach nicht stimmig.
Und so endet es auch. Ein riesiges Holzkreuz liegt schräg im Bild, oben klettert Mephisto, peitschenknallend, drunten wehklagt die Mörderin und am Fuße des Balkens faltet Faust die Hände zum Gebet. Der Trieb allein hat ihm die Füße weggerissen, nicht die Magie, der er bereit war, sich zu ergeben. Nun sind Fabian/Kauenhowen ganz weg von Goethe und blättern Hilfe suchend im Alten Testament.
„Verweile doch…“ gilt – die Inszenierung hat was. Das Ensemble spielt durchweg großartig. Von den greisen Erzengeln „mit Donnergang“ zu Beginn (Ariadne Pabst, Lisa Schürzenberger – auch Museumsführerin, Lucie Thiede –  auch Gretchens Bekannte) über Michael von Bennigsens Wagner, später Dichter neben Theaterdirektor Thomas Harms (auch sächselnder Bote aus Auerbachs Keller) und Kai Börner als Schau- spieler, Rolf-Jürgen Gebert als Herr und Geist sowie Susann Thiede als Marthe und Aufseherin.
Ein Lob hier auch der Statisterie.
Fabians Faust lohnt sich.   J.Hnr.